Interview mit Bünyamin Saatci„Den Output aus dem zur Verfügung stehenden Budget maximieren“

Der seit 2022 amtierende Geschäftsführer und CEO der Prospitalia GmbH, Bünyamin Saatci, berichtet im Interview, wie der Start im Unternehmen verlaufen ist und welche Lösungen auf Seiten der Beschaffung den Kliniken in der anhaltenden Krise zur Verfügung stehen.

Herr Saatci, seit Februar 2022 sind Sie Geschäftsführer und seit April 2022 CEO der Prospitalia GmbH. Was waren und sind die dringendsten Themen auf Ihrer Agenda?

Für mich war es im Onboarding-Prozess essenziell, das Team kennenzulernen und die Zielrichtung der Zusammenarbeit zu finden. Denn bei einer so komplexen Organisation, wie der Prospitalia GmbH, sollte man zuerst erkennen, wo die Aufgabenfelder im Tagesgeschäft für den CEO liegen, bevor man sich mit den strategischen Fragen von morgen oder übermorgen beschäftigt. Darüber hinaus stand natürlich auch der direkte Kontakt mit unseren Vertragseinrichtungen auf der Agenda. Prospitalia hat über 1300 Vertragseinrichtungen, die darauf bauen, dass wir weiterhin als verlässlicher Partner zur Verfügung stehen. Da dieser Anspruch auch für mich sehr wichtig ist, lege ich großen Wert auf einen möglichst engen Austausch mit unseren Kliniken, um ihnen die Kontinuität in der Partnerschaft zu signalisieren – insbesondere nach dem Managementwechsel. Gleichzeitig haben wir neben den Kliniken ebenfalls noch die Partner auf der Industrieseite. Auch ihnen gilt es zu signalisieren, wie die künftige Zusammenarbeit aussehen kann. Denn klar ist: Die Prospitalia GmbH möchte ihrer Rolle in dieser verbindenden Funktion zwischen Klinik und Industrie gerecht werden – heute und auch in Zukunft.

In meiner persönlichen 100-Tage-Planung war aber natürlich nicht berücksichtigt, dass in Europa ein Krieg ausbricht. Das heißt, meine Agenda ist recht schnell aus dem Planmodus in den Krisenmodus gewechselt, und dieser Modus hält auch bis jetzt an. Denn die Inflation hat noch einmal intensiv an Fahrt aufgenommen. Der Kliniksektor steht vor der immensen Herausforderung, dass die Preise aufseiten der Beschaffung steigen und – anders als in den meisten anderen Branchen – keine direkte Weitergabe an den „Konsumenten“, also die Patienten, möglich ist. Die Inflation und die Preisentwicklung verschärfen damit den ohnehin vorhandenen Druck noch einmal. Unser Tagesgeschäft ist es daher, Liefersicherheit in einem bezahlbaren Rahmen zu gewährleisten.

Diese Situation ist sicherlich für alle Beteiligten schwierig. Deshalb wollen wir mit den Kliniken und der Industrie an den Verhandlungstisch, um intelligente Lösungen zu finden, die die Effekte so gut es geht abmildern.

Bünyamin Saatci besitzt langjährige Einkaufs- und Healthcare-Kompetenz. Er verantwortete von 2009 bis 2021 als Dezernatsleiter „Wirtschaft und Versorgung“ den Einkauf am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH). Für die INVERTO AG war Bünyamin Saatci zuvor mehrere Jahre als Unternehmensberater für Einkauf und Supply-Chain-Management tätig. Seit Februar 2022 ist Herr Saatci Geschäftsführer und seit April 2022 CEO der Prospitalia GmbH.

Wie gehen die Kliniken mit dieser Dauerkrise um?

Zum einen möchte ich positiv hervorheben, dass unsere Vertragskliniken, wenn es hart auf hart kommt, sehr robust und fokussiert sind und die Teams zusammenstehen. Zu Beginn der Pandemie wurde in den Kliniken mit einer großen Kreativität und Besonnenheit gearbeitet. Vor der Coronapandemie war der Klinikalltag durch Personalmangel und durch die chronische Unterfinanzierung im Gesundheitswesen geprägt. Zurzeit kippen wir in eine sehr toxische Situation: Zusätzlich zu der noch nicht ausgestandenen Pandemie kommt das Thema der Energieversorgungslage gepaart mit regulatorischen Themen, wie der Medical Device Regulation (MDR), auf die Kliniken zu. Die Situation lässt kaum Spielraum für strategische Gedanken und die Weiterentwicklung der Organisationen. Zudem wird im nächsten Jahr der ökonomische Druck auf sehr viele Häuser noch größer sein, denn die bisher unterstützenden Coronahilfen laufen aus. Damit bricht auf der Einnahmenseite etwas weg und auf der Ausgabeseite kommen signifikante Belastungen hinzu.

Daher gilt es für Prospitalia, unsere Partner mit unserem Dienstleistungsportfolio bestmöglich in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen. Sei es mit Lösungen, die den personellen Aufwand etwas erträglicher gestalten oder mit einem attraktiven Gesamtangebot im Pricing. Darüber hinaus wird es aber nicht möglich sein, die Augen vor neuen Ansätzen zu verschließen, die sich jenseits des Themas „Preis“ bewegen. Es wird in Zukunft darum gehen, wie man den Output aus dem zur Verfügung stehenden Budget maximieren kann. Das kann bedeuten, dass man ein auf den ersten Blick teureres Produkt einsetzt, welches aber hilft, die Behandlung der Patientinnen und Patienten zu optimieren, wie zum Beispiel in Form kürzerer OP-Zeiten oder Verweildauern. Eine derartige ganzheitliche Betrachtung ist in Zukunft unverzichtbar.

Kann die Digitalisierung Lösungen bieten, um die Schwierigkeiten abzumildern?

Ich bin überzeugt davon, dass das Thema Digitalisierung ein Motor ist, um Prozesseffizienzen und Prozesssicherheiten zu maxi­mieren. In der Vergangenheit war es so, dass in den Köpfen der Menschen Automatisierung mit Rationalisierung und dem Abbau von Arbeitsplätzen gleichgesetzt wurde. Auch bei der Digitalisierung ist die Rationalisierung relevant, aber nicht um Arbeitsplätze abzubauen, sondern um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen, wie wir mit weniger Personal ein Mehr an Aufwand in einem wachsenden Gesamtsystem bewältigen. Nicht, weil wir das Personal abbauen möchten, sondern weil wir nicht genug Nachwuchs haben. Diese wichtige Botschaft wird sich durch die gesamte Kliniklandschaft verbreiten müssen.

Prospitalia hat sich zum Ziel gesetzt, im Rahmen der Beschaffung inklusive des Vergaberechts bestmöglich zu unterstützen. Dazu schreiben wir Rahmenverträge aus, sodass nicht jeder Lieferant individuell mit jeder Klinik verhandeln bzw. ins Vergabeverfahren einsteigen muss. Prospitalia dient an dieser Stelle als Marktplatz und übernimmt eine wichtige Skalierungsaufgabe. Als Ergebnis haben wir eine effiziente und schlanke Grundlage für die Beschaffung von Tools und Services auf dem Weg zur Digitalisierung der Kliniken. 

Wir, als Prospitalia, nehmen die gesellschaftliche Verantwortung, die mit dem Thema des Lieferkettengesetzes zusammenhängt, sehr ernst.

 

Wie geht Prospitalia mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) um und wie unterstützen Sie die Kliniken bei dessen Einhaltung?

Wir, als Prospitalia, nehmen die gesellschaftliche Verantwortung, die mit dem Thema des Lieferkettengesetzes zusammenhängt, sehr ernst. Und das Gewollte des LkSG ist auch etwas, was ich persönlich absolut unterstütze. Bei Krankenhäusern wird durch das Gesetz allerdings die wirtschaftliche Situation noch einmal verschärft, weil der Mehraufwand nicht auf die Preise umgelegt werden kann. Unsere Aufgabe ist es daher, Prospitalia-Vertragshäusern Lösungen anzubieten, in denen der prozessuale Aufwand so niedrig wie möglich, aber der Outcome so gut wie möglich ist.

Um unsere Vertragspartner bei der Umsetzung nach besten Kräften zu  unterstützen, beschäftigen wir uns bereits seit über einem Jahr intensiv mit dem LkSG. Seither konnten wir bereits Standards und Handreichungen für den Umgang in den Kliniken entwickeln und stehen mit Schulungen und Beratungen zur Seite. Hierbei orientieren wir uns eng an den Vorstellungen der Ministerien für die Umsetzung.

Zudem haben wir gemeinsam mit einem auf das LkSG spezialisierten deutschen Software-Entwickler ein Tool gefunden und an die Bedürfnisse der Kliniken angepasst, welches die seit August 2022 veröffentlichten Handreichungen des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) vollständig umsetzen kann. Hierbei lag der Fokus neben der Rechtssicherheit auch auf der bestmög-lichen Unterstützung der Prozesssteuerung und der operativen Abwicklung der Prozesse innerhalb der Kliniken. Um den operativen Aufwand in den Kliniken noch mehr zu entlasten, bietet die Prospitalia die Risikoanalysen für ihre Lieferanten als Shared Content an und ermöglicht es den Kliniken somit innerhalb der Gruppe gemeinsam an der Bewertung weiterer Lieferanten zu arbeiten. Wir wollen also dem Community-Gedanken folgen, sodass nicht jeder von Null anfangen muss.

Abgerundet wird das Angebot durch ein von der Prospitalia angebotenes zentrales Meldesystem für LkSG-Vorfälle, in welchem die aktuellen Entwicklungen der Whistleblower-Richtlinie umgesetzt werden. Sollte es zu konkreten Vorfällen und Verstößen gegen das LkSG kommen, steht die Prospitalia ihren Kliniken und auch Lieferanten in einem mandatierten Dialog zur Seite und bündelt so die Wirkungsmacht von mehr als 600 Kliniken und über 1300 Einrichtungen im Gesundheitswesen.

Wie sehen Sie die Gesetzesinitiative zu den Gesundheitskiosken aus Sicht der Beschaffung?

Die Idee, niederschwellige Gesundheitsangebote an große Bevölkerungsteile zu richten, finde ich im Grundsatz gut. Leider steht in der aktuellen Situation nur im Vordergrund, wer zu welchen Anteilen für die Kosten aufkommt. Das ist für mich der falsche Betrachtungswinkel: Denn ich bin der Ansicht, dass das Konzept der Gesundheitskioske kostendämpfend auf das System wirken wird. Schließlich wird man durch die Niederschwelligkeit des Angebotes bereits in einem früheren Stadium der Erkrankung ein medizinisches Angebot wahrnehmen. Und je früher man gesundend eingreifen kann, desto niedriger sind die Kosten im Einzelfall zu helfen. Daneben hat das auch zur Folge, dass Patienten beispielsweise schneller wieder ins Berufsleben zurückkehren können.

Wenn wir als Prospitalia solchen Strukturen eine Lösung mit Mehrwert anbieten können, dann sind wir diesbezüglich auch sehr offen, diese zur Verfügung zu stellen und in diesem Segment Partnerschaften auf- und auszubauen. Denn dies wird perspektivisch im Zuge der fortschreitenden Ambulantisierung ein Thema sein. Gegenwärtig ist der Fokus eindeutig auf der Krankenhauslandschaft, aber unser Kernservice muss nicht zwingend nur auf Krankenhäuser beschränkt sein. Wir werden uns das sehr genau anschauen, ob wir dort als Ideen- und Mehrwertgeber wahrgenommen werden.

Nachhaltigkeit ist nicht nur eine der etlichen Herausforderungen, sondern sie ist eine Aufgabe, die wir alle mit der richtigen Haltung anzugehen haben.

 

Welche Herausforderungen kommen im nächsten Jahr auf Prospitalia und die Kliniken zu?

Grundsätzlich ist es so, dass der Druck basierend auf dem Wegfall der Coronahilfe und der Inflation weiter zunimmt. Wir wissen zudem nicht, wie sich die Situation in der Ukraine entwickeln wird, aber unabhängig davon gab es auch schon vor diesem Krieg instabile Lieferketten. 

Ferner ist in diesem Rahmen das Thema Nachhaltigkeit etwas an die Seite gedrängt worden. Nachhaltigkeit ist nicht nur eine der etlichen Herausforderungen, sondern sie ist eine Aufgabe, die wir alle mit der richtigen Haltung anzugehen haben. Dabei muss man deutlich adressieren, dass eine höhere Nachhaltigkeit zu Beginn etwas kosten wird. Um in den Kliniken eine Verbesserung in diesem Bereich zu erzielen, muss man interdisziplinär in den Dialog eintreten, d.h. der Einkauf spricht mit dem Controlling, mit Ärzten, mit dem Management und den Vorständen. Anschließend sollte man gemeinsame Pfade oder Maßnahmen definieren und nicht aneinander vorbei oder gar gegeneinander arbeiten. Denn sicherlich ist das Thema „Nachhaltigkeit“ eine Aufgabe, die nur gemeinschaftlich angegangen werden kann – auch außerhalb der Gesundheitsbranche.

Sie sehen, an Herausforderungen mangelt es aktuell nicht. Allerdings sind das alles auch Punkte, die das vermeintlich langweilige Thema „Krankenhauseinkauf“ auf ein neues Niveau heben und diesen zu einer regelrechten Kunst entwickeln. Und trotzdem wird der Beschaffung in den Kliniken bis heute leider nicht der Wert beigemessen, wie es notwendig sein müsste. Schließlich repräsentiert die Beschaffung immerhin den zweitgrößten Kostenblock einer Klinik mit ca. 38 bis 40 Prozent.

Schlussendlich gilt es, dem wirtschaftlichen Druck der Kliniken etwas entgegen-zusetzen. Dafür muss man den gesamten Patientenpfad ins Auge fassen und abteilungsübergreifend Lösungen finden. Prospitalia unterstützt den Klinikeinkauf, in diese Diskussionen gut vorbereitet einsteigen zu können und steht als verlässlicher Partner beratend zur Seite. 

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Prospitalia GmbH

Die Prospitalia GmbH verhilft als führender Einkaufsdienstleister im deutschen Gesundheitswesen über 1.300 Krankenhäusern, Klinikapotheken und Pflegeeinrichtungen zu mehr Wirtschaftlichkeit und trägt so zu einer innovativen und wirtschaftlichen Patientenversorgung bei. Neben der effizienten Preisverhandlung von mehr als einer Million Qualitätsartikeln, ergänzt die Prospitalia ihren Service durch eine Vielzahl von Beratungsangeboten: Von EU-konforme und rechtssichere Ausschreibungen von Medical Produkten und Investitionsgütern, Wirtschaftlichkeitsanalysen auf Artikelebene oder Optimierungsprojekten in den Bereichen Beschaffung, Logistik und IT. Die Prospitalia GmbH ist ein Unternehmen der Vivecti Group (ehemals Prospitalia Gruppe).