
Digitalisierung, künstliche Intelligenz (KI), Robotik, 3D-Druck, autonomes Fahren, Smart Devices, RFID, Logistik 4.0 etc. sind aktuelle Megatrends in der Logistik. Übergeordnet überlagert werden diese durch den Klimaschutz, die Nachhaltigkeit und durch die Globalisierung geprägten strukturellen, wirtschaftlichen Veränderungen. Deutschland und Europa verändern sich von einer Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft, in denen bekannte Geschäftsmodelle und Produkte disruptiert werden. Lassen sich einige dieser Megatrends aus der Industrielogistik in ein Klinikumfeld implementieren? Gibt es im Gesundheitswesen auch Megatrends?
Kliniklogistik
Der Bereich der Klinik- bzw. Krankenhauslogistik ist ein spezieller, kleiner Ausschnitt der Logistik. Interne- oder externe Logistikdienstleistungen, bestandsgeführte Stations- und OP-Lager oder der flächendeckende Einsatz von Logistikversorgungsassistenten sind in Kliniken noch nicht selbstverständlich. Selbst die aus dem Alltag im Supermarkt bekannten Scanner stellen viele Kliniken immer noch vor organisatorische und technische Herausforderungen. Und das Telefaxe und E-Mails häufig den höchsten Anteil an der elektronischen Kommunikation und des Belegflusses in Kliniken bilden, entspricht nach wie vor der gängigen Praxis.
Ableitungen aus der Industrielogistik gelten aber auch für die Kliniklogistik, sollten jedoch unter dem Aspekt der Funktionalität, des aktuellen Wirkungsgrads und der Wirtschaftlichkeit im Klinikumfeld betrachtet werden. Einige der oben genannten digitalen Tools funktionieren bereits heute und verbessern Klinikprozesse. Andere digitale Tools und Techniken sind noch in den Kinderschuhen und der Wirkungsgrad ist für Kliniken noch deutlich zu niedrig. Automatisierte Transporte und Robotik in großen, vollautomatisierten Logistikhallen haben andere ökonomische Effekte als bei einer kleinteiligen Kliniklogistik auf engen Klinikfluren und in OP-Räumen. Mehrere Hunderttausend Euro Investitionskosten amortisieren sich im industriellen Logistikumfeld oft sehr schnell, während alleine die Investitionskosten die allermeisten Kliniken überfordern würden und auch die Betriebskosten häufig (noch) in keinem Verhältnis zu den erzielten wirtschaftlichen und personellen Effekten stehen. Viele Kliniken setzen sich heute aber trotzdem und sinnvollerweise mit diesen Themenfeldern auseinander. Haupttreiber dieser Überlegungen sind ökonomische und personelle Zwänge.
Veränderungen
Aber auch das Gesundheitswesen verändert sich. Dazu gehören die individualisierte Medizin und die vom Gesetzgeber gewollte Patientenzentrierung durch unter anderem die elektronische Patientenakte, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) und weitere digitale Serviceleistungen für die Patienten im Vorfeld und im Nachgang einer medizinischen Diagnostik oder Intervention sowie eine bessere technische Vernetzung von stationären und ambulanten Leistungen, um nur einige Aspekte zu nennen.
Doch noch einmal zurück in die Gegenwart. In der Praxis der meisten Kliniken zeigen sich nach wie vor häufig insuffiziente Prozesslandschaften, als Folge einer über Jahrzehnte gepflegten Organisationsstruktur. Ob das klassische Organigramm in der Führung mit Arzt, Pflege und Ökonom oder die bereichsbezogenen Interessen einzelner Abteilungen und Stakeholder in der gesamten Klinik – nichts davon fördert effiziente, durchgängige und wirtschaftliche Prozesse.
Durch den Einsatz moderner IT-Tools lassen sich erhebliche ökonomische Effekte erzielen.
Auch sind die benötigten finanziellen Mittel für eine ausreichende digitale Infrastruktur nicht angemessen in den Vergütungssystemen abgebildet. Hier versucht die Politik über das Krankenhauszukunftsgesetz und andere flankierende Maßnahmen eine Art Anschubfinanzierung zu realisieren.
Beispiel
Dabei liegt z.B. die Lösung für ein echtes Management der Lieferkette, dem Supply-Chain-Management, buchstäblich auf dem „OP-Tisch“. Für die meisten der rund 90 Prozent elektiven Operationen gibt es bereits einen internen OP-Standard, der meist umfangreiche Angaben zum einzusetzenden Material beinhaltet. Auch für die restlichen rund 10 Prozent Notfälle liegen in der Regel alle Materialien auf Notfallwagen vor.
Werden die vorhandenen Daten fachgerecht aufbereitet (Stammdatenmanagement), also die interne und externe Materialnummer (REF) und die exakte Menge erfasst, kann über diese Informationen eine komplette Lieferkette gesteuert werden. Zunächst durch die Kopplung des OP-Programms mit den jeweils benötigten Materialien, um eine IT-gestützte Kommissionierung auch durch pflegefremdes Personal zu ermöglichen. Aus der daraus folgenden Verbrauchsdokumentation lassen sich dann automatisierte Bestellanforderungen generieren. Basierend auf den geplanten Jahreseingriffszahlen könnten auch die Lieferanten somit frühzeitig ihre Produktions- und Lagermengen planen. Damit wird die auch rechtlich bereits bei vielen Materialien notwendige Dokumentation zum Initial der gesamten Lieferkette.
Bei Ist-Analysen in Kliniken wurden bis zu 70 einzelne Prozessschritte dokumentiert, um den Prozesskreislauf, von der Bedarfsermittlung bis hin zur Lieferung und abschließenden OP-Dokumentation, abzubilden. Durch den Einsatz moderner IT-Tools und einer Reduzierung von fragmentierten Arbeitsabläufen hin zu einem durchgängigen, digitalen Gesamtprozess lassen sich daher erhebliche ökonomische Effekte erzielen. Positiv haben sich auch standardisierte Eingriffsstücklisten und die Verwendung von OP-Komplettsets auf die Prozessoptimierung ausgewirkt. Werden die gewonnenen Zeitressourcen konsequent an die OP-Pflege zurückgegeben, steigen die OP-Kapazitäten und die Erlössituation der Klinik verbessert sich nachhaltig.
Changemanagement
Erfolgreich sind derartige Optimierungen allerdings nur, wenn die Mitarbeiter aller betroffenen Bereiche frühzeitig mit in die Prozessgestaltung und die daraus folgende Entscheidungsfindung eingebunden werden. Und nur ein funktionierender Prozess wird auch ein effektiver, digitalisierter Prozess werden. Das zeigt, dass die Digitalisierung und die damit verbundenen digitalen Tools alleine nicht ausreichen werden, um die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Klinikprozesse, häufig logistische Prozesse, müssen zunächst in bereichsübergreifende Prozesse modelliert werden.
Vertikale Klinikstrukturen mit einzelnen Schnittstellen zu anderen vertikalen Klinikstrukturen müssen zu horizontalen Prozessen mit den Patienten im Zentrum modelliert werden. Was sich einfach anhört, sind allerdings umfangreiche Change-Management-Prozesse, die, ohne die Einbindung aller Berufsgruppen in einer Klinik, scheitern werden.
Damit eine Einbindung der Mitarbeiter gelingt, bedarf es neben einer offen kommunizierten Strategie, der Definition der verschiedenen Ziele und einer individualisiert geplanten Mitarbeiterentwicklung auch Empathie und das Verständnis, dass der Mensch in der Regel Veränderungen für sich persönlich negativ empfindet.
Die zukünftige Kliniklogistik wird deutlich stärker als heute patientenzentriert und digital stattfinden. Neben den personellen und wirtschaftlichen Entlastungseffekten sind unter anderem die steigenden Anforderungen an die Regularien zur Abrechnung von Leistungen gegenüber den Kostenträgern und die stetig steigenden Dokumentationspflichten, auch für Medizinprodukte und Arzneimittel (MDR, securPharm, AMTS, Closed Loop Medication Administration etc.), wesentliche Treiber dieser Entwicklung.

