Klinikeinkauf im WandelValue-based Healthcare & Value-based Procurement

Value-based Procurement hält zunehmend Einzug in die Welt der europäischen Beschaffung. Der Klinikeinkauf kann damit die Rolle eines Wertketten-Integrators übernehmen.

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Die Begriffe Value-based Healthcare (VBHC) und Value-based Procurement (VBP) tauchen immer häufiger in Publikationen und Fachmagazinen des Gesundheitswesens auf. Häufig werden Darstellungen, Statistiken und Fachbegriffe verwendet, die allerdings nicht ohne weiteres zu verstehen sind. Was bedeutet Value-based Healthcare und Value- based Procurement, und vor allem, was ist der Hintergrund und die Basis dieser theoretischen Überlegungen? Der nachfolgende Text soll eine kurze Einführung in die Ideen und Hintergründe dieser Systeme bieten – Fortsetzungen, besonders zu Detailfragen, werden folgen, und auch ein Ausblick soll nicht fehlen.

In den Industrieländern kämpfen die Gesundheitssysteme mit stetig steigenden Kosten. Kern des Kostenproblems ist der medizinische Fortschritt und die steigende Lebenserwartung der Menschen. Seit mehreren Jahrzehnten versucht die Politik mit „Gesundheitsreformen“ die Kostenspirale aufzuhalten. Dennoch steigen die Gesamtkosten unaufhörlich weiter. Um die Beitragssätze stabil zu halten, werden nach wie vor Leistungen aus dem Leistungskatalog gestrichen. Auch die Einführung des DRG-Systems in 2003 verbesserte die allgemeine Kostensituation nicht nachhaltig. Im Gegenteil. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar, eine reine Kostenreduzierung kann und wird diese Spirale nicht aufhalten können. Um das zu erreichen, bedarf es einer Neustrukturierung des Gesundheitswesens mit anderen Ansätzen.

Value-based Healthcare

Der Konzeptansatz eines Value-based Healthcare wurde 2006 von Michael E. Porter und Elizabeth Olmsted Teisberg in Harvard entwickelt.1 Die zentralen Ideen sind eine wertorientierte Gesundheitsversorgung, eine Patientenzentrierung und ein Qualitäts- anstelle eines Preiswettbewerbs.

Was heißt das konkret? Der Wert für den einzelnen Patienten bei gleichzeitiger Wirtschaftlichkeit der Behandlung soll im Mittelpunkt stehen. Zur Qualitätsmessung einer Behandlung verwendet Porter die Formel:

Health outcome / costs = Patient value

Eine bessere Behandlungsqualität bei möglichst geringen Kosten ergibt also den Wert für den einzelnen Patienten (Details siehe Kasten). Unterstützt werden diese inhaltlichen Ansätze u.a. durch das Weltwirtschaftsforum (WEF) und die Boston Consulting Group. Michael E. Porter und Elizabeth Olmsted Teisberg sehen für Deutschland aufgrund der die Fallpauschalen zwar den Zwang der Kliniken zu einem ökonomischen Denken und damit den Zwang einer gewisse Rentabilität in der Leistungserbringung, eine Patientenzentrierung steht allerdings nicht im Fokus. Der Patient spielt somit im jetzigen (wirtschaftlichen) System eine untergeordnete Rolle.

Value- based Procurement (VBP)

Betrachten wir nun den wertorientierten Klinikeinkauf in Deutschland. Gibt es ihn überhaupt? Entwickelt er sich? Welche Ausprägung hat er? Die Vorgabe, dass der beste Preis den Zuschlag erhält, gilt in den meisten deutschen Kliniken immer noch. Allerdings ist Bewegung in diese Sichtweise gekommen.

Seit Umsetzung der europäischen Vergaberichtlinie von 2014/24/EU des europäischen Parlamentes und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe in nationales Recht durch alle 28 EU-Mitgliedstaaten ist eine steigende Zahl von Beschaffungen von Medizin(technik)produkten unter Berücksichtigung von Preis und Qualität erkennbar. Der Preis als alleiniger Einflussfaktor auf den Beschaffungsprozess soll so künftig eine geringere Rolle spielen. Im Durchschnitt umfassten 42 Prozent der Beschaffungsprozesse für Medizintechnik- und Medikalprodukte bereits im Jahr 2016 diverse Qualitätskriterien.

Unternehmen, die VBP stark in den Mittelpunkt ihres Angebotes stellen, erzielen häufiger ein Umsatzwachstum als ihre Wettbewerber.

Frankreich, Großbritannien, Irland und die Niederlande liegen, auf der Grundlage von Qualität und Kosten, mit mehr als 80 Prozent der von ihnen vergebenen Angebote auf der Grundlage von Qualität und Kosten an der Spitze. Darüber hinaus ist dieses Preis-Leistungs-Verhältnis in einigen EU-Mitgliedstaaten, wie in den Niederlanden und Finnland, rechtlich das bevorzugte Vergabekriterium. Ein Anfang ist gemacht, dennoch ist diese Betrachtungsweise von Beschaffung noch nicht vollständig im Gesundheitswesen angekommen. Es gibt jedoch Entwicklungen und Trends, die eine stetige Weiterentwicklung in eine wertorientierte Beschaffung bestätigen. Hier sei auf die Zunahme von sogenannten Systempartnerschaften von Medizintechnikunternehmen und Kliniken verwiesen. Auch die Einholung externer Fachexpertise vor einer Ausschreibung stieg in den letzten Jahren deutlich.

Das Ergebnis einer Umfrage der Boston Consulting Group, an der 65 Medizintechnik-Lieferanten und 25 Einkäufer teilnahmen, bestätigt diesen Trend. Rund 80 Prozent beider Seiten betrachten die Weiterentwicklung von Value-based Procurement als äußerst wichtig für ihren zukünftigen Erfolg. Auch eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2020 des BVMed (Bundesverband Medizintechnologie e.V.) in Kooperation mit der Blue Advisory GmbH, die den aktuellen Umsetzungsgrad von Value-based Procurement untersucht, sieht grundsätzlich auf beiden Seiten eine steigende Akzeptanz und eine positive Tendenz. Unter anderem wurde ein VBP-Readiness-Index entwickelt. Interessant sind die ersten Ergebnisse: Unternehmen, die VPB stark in den Mittelpunkt ihres Angebotes stellen, erzielen häufiger ein Umsatzwachstum als ihre Wettbewerber, die diesen Ansatz nicht wählen.

Vorbild Industrie

Auf die Bedeutung des Einkaufs als wertbeitragendes Management von Lieferantenfähigkeiten weisen Jules Goffre und Ramón Romero Pérez von A.T. Kearney bereits im Jahr 2007 hin. Der Weg von der Kosten- zur Wertorientierung setzt jedoch, neben der Umsetzung eines systematischen Prozesses, eine Veränderung des Selbstverständnisses im Einkauf voraus. Sie geben einige Hinweise für eine erfolgreiche Umsetzung. Die Lieferantenauswahl und der Know-how-Austausch müssen fokussiert sein, damit nicht eine Flut von Ideen entsteht, von denen 90 Prozent nutzlos sein könnten. Eine gezielte Wertgenerierung braucht ein bereichsübergreifendes Team und klare Entscheidungs- und Eskalationsmechanismen. Die Teammitglieder müssen Verantwortung für die Zusammenarbeit übernehmen und Aufgaben und Verantwortlichkeiten dokumentieren. Webbasierte Instrumente zur Bewertung und Verfolgung von Lieferantenideen und eine gut funktionierende Kollaborationsplattform sollen den Ideenprozess unterstützen.

Einen wesentlichen Faktor für das Gelingen sehen Goffre und Pérez im gegenseitigen Vertrauen. Lieferanten müssen sicher sein, dass ihre Ideen nicht anderen Lieferanten zugänglich werden. Vertrauensbildende Maßnahmen gehören also zu einem erfolgreichen Prozess. Die erweiterte Nutzung von Lieferantenfähigkeiten im Sinne einer Wertgenerierung weist dem Einkauf eine strategisch bedeutendere Position innerhalb einer Organisation zu. Einkäufer werden so zu Wertketten-Integratoren. Somit hätten Klinikeinkäufer ein erstrebenswertes Change-Management-Ziel. Vom ehemaligen Verhandler von Preisen hin zum einem Wertketten-Integrator.

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femak e. V.

Der Fachverband für Einkäufer, Materialwirtschaftler und Logistiker im Krankenhaus e.V., femak, ist der Zusammenschluss von Mitarbeitern/Innen, die in den Bereichen der Versorgung in den Einrichtungen des Gesundheitswesens tätig sind. Dabei verstehen wir den Leitgedanken Wissen vernetzt sowohl als aktive Aufgabe unseres Verbandes, wie auch als Konsequenz, die sich aus dem Zusammenwirken aller Beteiligten ergibt.