
Die Johanniter-Krankenhäuser haben derzeit mit Lieferengpässen zu kämpfen. Wo liegt das Problem?
Ein Beispiel sind Kit Packs und OP-Abdeckung, da haben wir alle zwei bis drei Wochen Lieferunregelmäßigkeiten, denen wir nur begegnen können, indem wir den Bestand erhöhen – was wir nicht wollen. Weil wir erstens keinen Platz dafür haben, und auch das Kapital dafür nicht binden wollen. Sie müssen dann oft auf verschiedenen Ebenen nachhaken – wir vom strategischen Einkauf als auch die Einkaufsgemeinschaften – und das dann wirklich endeskalieren lassen, sonst passiert da nichts. Das will man als Unbeteiligter erstmal gar nicht glauben.
In der Regel kündigen die Firmen das auch nicht langfristig an. Ein akutes Beispiel dafür sind Redon Wunddrainagen. Hier hat uns die Information, dass die Firma bis September nicht mehr liefern kann, erst Mitte Mai erreicht. Wir haben acht Krankenhäuser, die das unterschiedlich schnell mitbekommen haben. Die Alb Fils Kliniken und die meisten weiteren Kliniken haben dasselbe Problem.
Haben Sie Informationen darüber, warum es solche Lieferabrisse gibt?
Über die genauen Gründe lässt man uns meistens im Dunkeln, man stochert dann immer im Nebel. Offenbar haben die meisten Firmen technische Probleme in der Produktion oder Sterilisation. So zum Beispiel interne Probleme im Zusammenhang mit der örtlichen Verlagerung der Sterilisationseinheiten, die diese Redon Drainagen steril machen. Ein anderes Gerücht ist hier, dass man bei Engpässen zuerst jene Länder beliefert, in denen die Gewinnmargen deutlich höher sind und den deutschen Markt daher dann grundsätzlich erstmal hängen lässt.
Oder EU-weite Neuzertifizierungsprozesse ziehen sich in die Länge, sodass das Produkt nicht ausgeliefert werden darf. Das ist ein großes Problem gerade bei diesen Wunddrainagen, denn hier hat ein einziger Anbieter in Deutschland einen Marktanteil von 50 Prozent. Oft gibt es auch Probleme mit der Logistik. Hier arbeiten viele Firmen mit unzuverlässigen Subunternehmern. Entweder kommt die Ware erst gar nicht an, die Verpackung ist beschädigt oder die Sortierung der Ware auf den Paletten ist chaotisch.
Welche Konsequenz ergibt sich denn daraus, wie haben Sie darauf reagiert?
Ohne die Drainagen kann nicht operiert werden. Es gibt hier zwar Alternativlieferanten, allerdings beliefern die ihre Bestandskunden und können ihre Produktionskapazität nicht von heute auf morgen hochfahren, um diesen hohen Marktanteil abzudecken. Wir haben daher zunächst die Bestandssituation in unseren Krankenhäusern eruiert und das Problem dann an unsere Einkaufsgemeinschaft gespielt, die sozusagen als Multiplikator dient. Und die hat dann einen Ersatzlieferanten gesucht, der uns garantiert, dass er die Mitglieder dieser Einkaufsgemeinschaft versorgt.
Was raten sie anderen Kliniken, die ebenfalls in dieser Situation sind?
Zunächst gilt es, die Situation möglichst schnell dem Zentraleinkauf bzw. der Einkaufsgemeinschaft zu melden – in der Hoffnung, dass auch andere Kliniken dieses Problem haben – und dann mit dieser größeren Marktmacht an den Lieferanten heranzutreten, um zu versuchen, dass doch noch eine Belieferung stattfindet. Falls das nicht klappt, sollte man sich vom Bestandslieferanten tagesaktuelle Produktlisten über den Status der Verfügbarkeit geben lassen und parallel möglichst zeitnah Alternativlieferanten identifizieren.
Zweitens sollten Kliniken unabhängig von der Einkaufsgemeinschaft auch selbst Lieferanten suchen und ihre Beziehungen ausnutzen. So konnte eines unserer Krankenhäuser aufgrund dieser guten Beziehung von einer anderen Firma beliefert werden, obwohl jener Anbieter eigentlich nur ihre Bestandskunden mit Wunddrainagen versorgt. Unsere Krankenhäuser werden zukünftig Wunddrainagen von einem mittelständischen Familienunternehmen beziehen. Dies ist ein gemeinsamer Beschluss mit unserer Einkaufsgemeinschaft.
Werden solche Lieferengpässe in Zukunft öfter vorkommen?
Vor dem Hintergrund der knappen Ressourcen in deutschen Krankenhäusern ist es so, dass sie ihre Lager nicht mehr unendlich aufpumpen können – und das gilt auch für die Lieferanten. Durch die immer globaleren Märkte, der neuen EU-Medizinprodukteverordnung und dem Margendruck der Lieferanten wird das Problem zunehmend signifikant. Vor allem bei Firmen, die international aufgestellt sind und hierzulande solche hohen Marktanteile haben.
Damit werden die Themen Logistik und Versorgungssicherheit für Kliniken wirklich überlebenswichtig. Bisher dachte man, dass so etwas relativ reibungslos funktioniert und hat sich auf die Optimierung der internen Prozessabläufe konzentriert. Da haben die Kliniken sicherlich noch viele Hausausgaben zu erledigen. Aber derzeit kommen wir nicht dazu, weil wir erstmal für unsere Versorgungssicherheit sorgen müssen. Das ist im Prinzip so wie ein Hurrikan in den USA. Er kommt auf jeden Fall, man weiß nur nicht genau wann und bei welchem Produkt.
Was können Krankenhäuser denn präventiv tun?
Der Knackpunkt ist hier, schnell an solche Informationen heranzukommen und sie zeitnah zu verbreiten. Etwa über Plattformen oder eine Einkaufsgemeinschaft, die diese Information im Intranet schnell zur Verfügung stellt – oder noch besser direkt ins SAP-System der Klinik, um die Bedarfsplanung und Disposition schnittstellenfrei zu managen. Für den Krisenfall sollte man auch genau festlegen, wie Kliniken und Einkaufsgemeinschaften im Einzelnen reagieren müssen. Und zweitens muss man mit den Lieferanten zunehmend auch bidirektionale Abnahmevereinbarungen vertraglich festzurren, und zwar inklusive einer Klausel zum Thema Deckungskäufe. Das verpflichtet den Lieferanten, die Kosten für den Lieferausfall und den teureren Vertrag mit dem – hoffentlich gefundenen – Alternativlieferanten zu begleichen. Eine weitere Gegenstrategie ist das Thema Global Sourcing.
In der Vergangenheit war es für Krankenhäuser zu aufwendig, einen Hersteller in China zu kontaktieren. Angesichts eines drohenden Stillstands des OP-Betriebes ist das zukünftig aber durchaus ein Thema. Zu diskutieren wäre auch, ob wir nicht etwa gesetzliche Vorschriften, ähnlich wie bei der Arzneimittelversorgung, brauchen. Dort regelt das BfArM (BRD) oder FDA (USA) Bestandsreserven für Anbieter und zentrale Meldeportale für Lieferabrisse. Nicht zuletzt sollten die Kliniken die Dinge selbst in die Hand nehmen und über einen Shared Economy Ansatz nachdenken, bei dem sich die Kliniken über ein eigenes Informations- und Versorgungsnetzwerk selbst aushelfen können.

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