KommentarKlinik-Einkauf aus Sicht der Pflege

Viele Mythen ranken sich um den Einkauf in der Klinik – zumindest aus Sicht der Pflegenden. Diese Mythen beruhen oft auf Erlebtem, aber auch Hörensagen und der stationsinternen Informationsweitergabe, deren Inhalt und Richtigkeit nie so richtig geprüft oder hinterfragt wird.

Krankenpflege
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Symbolfoto

In den über 20 Jahren, die ich als examinierter Krankenpfleger arbeitete, habe ich sehr viele Geschichten und eben auch Mythen zu diesem sagenumwobenen Bereich in der Klinik gehört, der ja eigentlich nur Sachen und Dinge beschaffen muss, es aber irgendwie nie so richtig schafft: dem Einkauf. Immer hieß es, dass „die vom Einkauf da in ihrem Elfenbeinturm“ überhaupt nicht wissen, was Pflegende in den verschiedenen Bereichen eines Krankenhauses eigentlich brauchen. Und dass – aus Sicht Pflegender – wiederholt falsche und/oder unnütze Produkte beschafft wurden. „Wieso fragt keiner die Anwender, bevor Bestehendes und Gutes geändert wird? Warum stellt man einfach alles um?“

MDR? Noch nie gehört!

Ein weiterer Punkt ist das Unverständnis vieler Pflegekräfte bezüglich fehlender bzw. nicht lieferbarer Waren und Artikel, egal ob es sich um Verbandsstoffe oder Implantate, Nahtmaterial oder Masken, Handschuhe oder Perfusorspritzen handelt. Lieferstopps und Rückrufe werden selten mit der Industrie bzw. den Lieferanten in Verbindung gebracht, sondern nur mit dem Einkauf.

Für die meisten Pflegenden besteht auch kein Unterschied zwischen dem Einkauf und einem Materiallager, da ja der Einkauf Bestellungen macht und das Materiallager mit Waren versorgt. Wobei dieser Zusammenhang teilweise schon sehr nah an die tatsächlichen Prozesse kommt. Was MDR ist, wissen aktuell nur einige OP-Leitungen und Leitungen von Herzkatheterlaboren.

Aussagen von Pflegenden und Pflegeleitungen verschiedener Bereiche zum Klinikeinkauf
Adrian Reeck
Aussagen von Pflegenden und Pflegeleitungen verschiedener Bereiche zum Klinikeinkauf

Einkauf – das unbekannte und unnahbare Wesen irgendwo in der Verwaltung

In meiner Funktion als Leitung des Zentrallagers eines Maximalversorgers habe ich drei Jahre tagtäglich erlebt, dass die Unwissenheit über die Prozesse von Einkauf & Logistik allgegenwärtig ist. Aber warum ist das so? Um diese Frage beantworten zu können, habe ich mich entschlossen, tiefer in die Materie einzusteigen. Im Rahmen meines BWL-Studiums hatte ich die Möglichkeit, Pflegende zu befragen und die Ergebnisse wissenschaftlich aufzuarbeiten. Auf dieser Grundlage habe ich Ende 2018/Anfang 2019 erneut Fragebögen an zwei Krankenhäuser der Regelversorgung und zwei Kliniken der Maximalversorgung unterschiedlicher Gesellschafter geschickt. Und der Rücklauf war wider Erwarten sehr hoch.

Erstes Ergebnis ist die Aussage, dass die hierarchische Säulenstruktur in deutschen Kliniken bei 95 Prozent der Befragten aus 3 Säulen besteht: Ärzte – Pflege – Verwaltung. Wer allerdings alles zur der Säule Verwaltung zugeordnet wird, wurde von vielen sehr allgemein gehalten. Weniger als 30 Prozent sahen Einkauf und Logistik in der Säule Verwaltung. Beide Bereiche existieren nicht wirklich in der Wahrnehmung.

Einkauf: Ist das auch ein Zahnrad im Klinik-Motor?

Des Weiteren gab es viele Freitext-Anmerkungen. Einige Aussagen von Pflegenden und Pflegeleitungen verschiedener Bereiche finden Sie in den Sprechblasen. Diese Anmerkungen spiegeln nur einen kleinen Teil der emotionalen Auseinandersetzungen mit Einkauf und Logistik wieder. Umso schockierender ist das Ergebnis der Frage „Kennen Sie „Ihren“ zuständigen Einkäufer (operativ und/oder strategisch)?“ 90 Prozent der Befragten verneinen dies. Und die 10 Prozent, die „Ihren“ Einkäufer kennen, sind entweder OP-Leitung, Intensivstationsleitung oder Leitung eines Herzkatheterlabors. Das hat mit den Beschaffungen und Materialbestel-lungen dieser spezialisierten Bereiche zu tun. Diese spezialisierten Pflegeleitungen verfügen über ein hohes Wissen für „ihre“ Produkte, Waren und Artikel. Allerdings sind auch hier Defizite hinsichtlich der Kenntnisse zu Beschaffungsprozessen, Ursachen von Lieferengpässen und auch Produktrückrufen vorhanden.

Eine andere Frage in der Studie bezog sich auf die Zuordnung der Beteiligung des Einkaufs durch die Pflege. 82 Prozent der Befragten sehen keinen Unterschied zwischen dem Operativen und Strategischen Einkauf. Sehr deutlich ist aber das Verständnis, wie sich Pflegende den Beschaffungs- bzw. Einkaufsprozess in der Klinik vorstellen: 60 Prozent favorisieren eine Plattform wie Amazon, 35 Prozent sehen Zalando und 5 Prozent weitere Online-Bestellformate. Nur hat kein einziger die Webshop-Lösung seines Krankenhauses oder aber das E-Procurement-System bzw. die E-Business-Software seiner Klinik erwähnt. Warum? Weil sie alle umständlich zu bedienen sind, eingeschränkte Suchfunktionen und überwiegend keine oder zu kleine Bilder des Produktes haben.

Klinische Warenbestellsysteme sollen wie Amazon sein!

Pflegende wollen sich auch nicht mit Begrifflichkeiten auseinandersetzen. Allein die Bezeichnung einer peripheren Venenverweilkanüle hat diverse Bezeichnungen in den verschiedenen Bereichen eines Krankenhauses. Egal, welchen der folgenden Begriffe man in die Bestell-/Suchmaske eingibt: Es sollten alle Möglichkeiten und Produkte aufgelistet werden:

  • AP
  • Flexüle
  • ApoCath
  • PVK
  • Braunüle
  • PZ
  • Peripherer Zugang
  • Rosa Nadel
  • Periphere Venenverweilkanüle 
  • etc.

Bei der Arbeit in einem Klinikverbund wird es noch facettenreicher. Und dabei ist das nur eine Artikelgruppe. Daher erwarten Pflegende eine technische IT-Lösung wie die des bekannten Online-Versandhandels. Man wünscht sich auf einen Klick Produktbilder, detaillierte Beschreibungen, Substitutionsartikel, Lieferzeiten etc. In den meisten Kliniken und Krankenhäusern sind es, je nach Größe und Einstufung in die Versorgungsklasse, 20 000 bis 500 000 unterschiedliche Artikel. Dabei sind oft nur die Materialien, die zum medizinischen Bedarf zählen wie beispielsweise Implantate, Verband-, Heil- und Hilfsmittel, Verbrauchsmaterial, Instrumente, Narkose- und Operationsbedarf, Bedarf für Röntgen- und Nuklearmedizin, für EKG, EEG, Sonografie, physikalischen Therapie, Desinfektionsmaterial, Dialysebedarf, Laborbedarf sowie sonstiger medizinischer Bedarf.

Umfrage unter Pflegekräften
Adrian Reeck
Umfrage unter Pflegekräften

Kapitel Einkauf und Logistik in der Pflegeausbildung: Fehlanzeige!

Eine entscheidende Ursache für die Unkenntnis Pflegender ist die fehlende Vermittlung von Inhalten zu Einkauf und Logistik im Klinikalltag in der Ausbildung der Pflegeberufe. Selbst in den verschiedenen Zusatzqualifikationen und pflegerischen Fachweiterbildungen sind die Beschaffung, die Versorgung, die Lagerhaltung und die damit verbundenen Logistik-Aufgaben kein Thema. Warum das so ist, konnte oder wollte keine der angeschriebenen Pflegeberufsschulen und Weiterbildungseinrichtungen beantworten. Dass der klinische Einkauf nicht gleichzusetzen ist mit dem Online-Handel, verstehen viele Pflegende nicht. Es gibt lange Diskussionen zu Fehlbestellungen und die Aussage: „Dann schicken Sie, lieber Einkauf, das doch wieder zurück. Zuhause geht das doch auch und ist sogar noch kostenfrei!“

Der Einkauf und die Logistik haben leider immer noch keinen Stellenwert, um Bestandteil der Pflege-Ausbildung zu werden. Interessante Anmerkung am Rand: Bei der Ausbildung Kauffrau/-mann im Gesundheitswesen ist die Vermittlung von klinischen Strukturen bereits seit mehreren Jahren Ausbildungsbestandteil.

Best Practice: einfach mal miteinander Reden und Kennenlernen

Aber es gibt Möglichkeiten, dieses Informationsdefizit zu reduzieren. Und das ist – wie so oft im Leben – mit minimalem Aufwand und fast ohne Kosten möglich: das persönliche Gespräch und Kennenlernen der am Prozess Beteiligten. Daraus können z. B. regelmäßige JourFixe entstehen; es können Newsletter zur Informationsweitergabe oder Intranet-Auftritte sein, aber auch Einkaufs-FAQ und die Einbeziehung der Lieferanten in den Informationsprozess.

Warum nicht einfach mal mit allen Stationsleitungen einen gemeinsamen Besuch im Lager inklusive persönlicher Führung organisieren? Oder einen Klinik-individuellen Work-Flow Einkauf-Logistik-Pflege anstoßen, die Erfassung der Prozesse durch die professionell agierenden Akteure der beteiligten Berufsgruppen zusammen organisieren und die IT-Systeme so nutzen, das zukünftig Missverständnisse in der Zusammenarbeit gar nicht erst entstehen und der Mythos vom unbekannten und unnahbaren Wesen Einkauf ein für alle Mal verschwindet.

Adrian Reeck ist Mitglied des Bundesvorstands der femak. Der examinierte Krankenpfleger studierte Wirtschaft und Management und arbeitet derzeit im strategischen Einkauf der BG Kliniken Einkauf und Logistik GmbH.

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