VergabeSpieltheorie in Lieferantenverhandlungen

Materialknappheit, steigende Inflation und explodierende Energiepreise stellen die Beschaffung vor Herausforderungen. Die richtige Verhandlungsstrategie ist für Unternehmen nicht nur maßgeblich, um Kosteneinsparungen zu erzielen, sondern überlebensnotwendig.

Verhandlung
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In der aktuellen Marktsituation hat die Sicherung der Materialverfügbarkeit oft oberste Priorität. In diesem Fall müssen die Verhandlungen mit den Lieferanten auf Partnerschaft und enger Zusammenarbeit beruhen.

Wenn hingegen die Vertragsumfänge im Wettbewerb zwischen mehreren Lieferanten mit einem hohen Grad an Austauschbarkeit vergeben werden können, sollte der Einsatz der Spieltheorie geprüft werden, da dies der beste Weg ist, um maximale Einsparungen zu erzielen. In der heutigen Zeit ist es wichtiger denn je, die Spieltheorie wo immer möglich zu nutzen, denn nur so kann die Gesamtbelastung für das Unternehmen reduziert und den unvermeidlichen Preissteigerungen bei knappen Ressourcen entgegengewirkt werden.

Doch wie sieht der spieltheoretische Verhandlungsansatz aus?

In einer klassischen bilateralen Verhandlung geht es darum, die Gegenseite mit der richtigen Strategie und Taktik, einer überzeugenden Storyline und schlüssigen Argumenten für die eigene Position zu überzeugen. Bei dem spieltheoretischen Ansatz hingegen wird ein Vergabemechanismus entwickelt, der die Wettbewerbsdynamik zwischen den Lieferanten maximiert. Das Design der Vergabemechanismen basiert dabei auf den Erkenntnissen von zahlreichen wissenschaftlichen Theorien.

Tatsächlich sind seit den 1990er-Jahren sogar mehrere Wirtschaftsnobelpreise auf dem Gebiet der Spieltheorie vergeben worden. Diese wissenschaftliche Herangehensweise eröffnet neue Perspektiven bei komplexen Verhandlungen und ermöglicht es, zu prognostizieren, wie sich Menschen tendenziell verhalten werden. In der strategischen Beschaffung ist die Spieltheorie mittlerweile bereits voll angekommen und wird von vielen Unternehmen bei dem Design von Vergaben und Verhandlungen eingesetzt. Spätestens nach der Realisierung unvorstellbarer Einsparungsergebnisse sind die Beschaffungsteams elektrisiert und von der Wirksamkeit der Spieltheorie absolut überzeugt.

Spieltheorie in der Beschaffung

Die zwei relevantesten und am häufigsten eingesetzten Vergabemechanismen in Beschaffungsauktionen sind die holländische (ansteigende Angebotsinkremente) sowie die englische Auktion (absinkende Angebotsinkremente). In Kombination mit weiteren Elementen wie Qualifikations- und Rankingrunden können sie den Wettbewerbsdruck durch glaubwürdige Markttransparenz maximieren.

Doch bei der Entwicklung jeder spieltheoretischoptimierten Vergabe muss man sich viele Fragen stellen – zum Beispiel: Wie müssen die Lose gebildet werden, um den größtmöglichen Wettbewerbsdruck zu erzeugen? Welche Entscheidung wird ein Lieferant treffen, wenn man davon ausgeht, dass er seinen eigenen Nutzen maximieren möchte – und wie berücksichtig man dies bei dem Design der Vergabe optimal? Mit welchem Vergabedesign bringt man die besten Lieferanten unter Druck?

Spieltheorie im Gesundheitswesen

Wie so oft beim Einsatz von innovativen Ideen und Methoden setzt sich die Spieltheorie zuerst in Konzernen durch, die in ihren Zentralabteilungen über ausreichend Kapazitäten verfügen. Große Vergabevolumen mit Einsparpotenzial in Millionenhöhe bieten hier einen Anreiz für den Einsatz neuer Vergabestrategien. Aktuell wird die Spieltheorie auch durch innovative Mittelständler und im Gesundheitswesen entdeckt, mit Neugier pilotiert und mit viel Erfolg ausgeweitet.

Insbesondere bei wiederkehrenden Beschaffungsumfängen können Krankenhäuser und Einkaufskooperationen im Gesundheitswesen von der Spieltheorie profitieren, da hier über langfristige und großvolumige Verträge mit den Lieferanten verhandelt wird. Darüber hinaus besteht auch ein großes Potenzial, wenn Anlagen direkt von den Krankenhäusern beschafft werden. Geräte wie MRT und CT haben hohe Anschaffungskosten, sind leicht zwischen mehreren Lieferanten vergleichbar und der Umfang ist klar definiert.

Diese Kriterien müssen erfüllt werden

Die Spieltheorie fasziniert – mit nachweisbaren Erfolgen, die durch klassische Verhandlungen nicht erreicht werden können, mit der Konsistenz und „Reinheit“ ihrer Systematik und mit der überraschenden Erkenntnis, dass einige spieltheoretische Ansätze bisher intuitiv und unbewusst zur strategischen Wettbewerbssteigerung und Minimierung von Risikoaversion eingesetzt wurden.

Viele Beschaffungsteams denken, dass der Ansatz nur bei bestimmten Warengruppen angewendet werden kann. Dies ist ein Irrglaube. In der Regel müssen nur drei Kriterien erfüllt sein. Wir nennen sie die „3 C“. Möglicherweise sind nicht all diese Kriterien zu Beginn des Projekts erfüllt, aber sie können gemeinsam in funktionsübergreifenden Teams (bestehend aus Kolleginnen/Kollegen aus Beschaffung, Technik, Qualität, Logistik und Vertrieb) entwickelt werden.

Die 3-C-Kriterien

  • Comparability: Alle relevanten Entscheidungsparameter werden berücksichtigt und monetär durch eine Bonus-Malus-Bewertung inkludiert. Die Angebote der teilnehmenden Lieferanten sind damit vollkommen vergleichbar und die Vergabeentscheidung erfolgt auf Basis der Total Cost of Ownership.

  • Commitment: Die Vergabeentscheidung ist komplett ergebnisoffen. Alle teilnehmenden Lieferanten sind von dem Fachbereich sowie allen Cross-Funktionen freigegeben und können aus eigener Kraft den Auftrag gewinnen. Zudem wird klar kommuniziert, dass es weder Nachverhandlungen noch Vetos in weiteren Beschaffungsgremien gibt.

  • Competition: Es muss mehr als ein Anbieter an dem Vergabeumfang interessiert sein. Nur so kann eine Wettbewerbssituation geschaffen werden, die mithilfe eines maßgeschneiderten Vergabedesigns maximiert werden kann. Dabei müssen die richtigen Anreize für die Lieferanten identifiziert und die entsprechenden Signale gesetzt werden.

So wird die Vergabe durchgeführt

Wenn die „3 C“ erfüllt sind, müssen die Lieferanten auf das Vergabe-Event vorbereitet werden. In einer transparenten Kommunikation werden der Mechanismus und die Regeln erklärt und eventuelle Unklarheiten beseitigt. Kein Lieferant sollte verunsichert werden, denn nur wenn der Lieferant den Mechanismus komplett verstanden hat, kann er sich optimal verhalten und der Vergabemechanismus seine volle Wirkung entfalten.

Der Vergabetag kann dann mit den Lieferanten vor Ort oder virtuell durch den Einsatz von E-Auction-Tools durchgeführt werden.

Gerade bei größeren Vergabevolumina kann es von Vorteil sein, die Lieferanten vor Ort zu haben, da so auch zwischen den einzelnen Runden Signale an die Lieferanten gesendet werden können. Darüber hinaus können Sie die Entwicklung des Spannungsniveaus buchstäblich spüren und so die Gebotsschritte entsprechend anpassen.

Die virtuelle Durchführung erleichtert die Skalierung des Ansatzes mit mehreren Anbietern. Vor allem kleinere Vergabevolumen können schnell und ohne großen Koordinationsaufwand durchgeführt werden. Wichtig ist dabei die Auswahl des geeigneten Tool-Anbieters. Nicht alle Tools können komplexere Vergabemechanismen abbilden und an spezifische individuelle Ausgangssituationen angepasst werden.

So gehen Sie die ersten Schritte

Es muss immer berücksichtigt werden, dass die Spieltheorie eine komplexe Wissenschaft ist und nicht „mal eben“ angewendet werden kann. Die Vorbereitungszeit für das Design von Vergabestrategien wird oftmals unterschätzt und zu niedrig angesetzt. Um ein guter Spieltheoretiker zu werden, reicht es nicht, einen Wochenendlehrgang besucht oder ein Buch gelesen zu haben. Tatsächlich kann die unprofessionelle Anwendung der Spieltheorie mehr schaden als nutzen. Daher ist eine Begleitung durch einen Coach bei dem ersten Einsatz dringend empfohlen – nur mit dieser Expertise sind schließlich erstaunliche Verhandlungsergebnisse möglich.

Es ist nicht immer leicht, die endgültige Entscheidungsbefugnis an einen Mechanismus abzugeben, aber es lohnt sich. Erfolgreiche Vergaben können das Feuer in den Beschaffungsteams entfachen. Es ist wichtig, ein Maximum an Enthusiasmus zu erzeugen, die funktionsübergreifende Zusammenarbeit zu unterstützen und Verhandlungskompetenz in den Beschaffungsteams zu institutionalisieren.

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