EntscheidungsfindungEinkaufscontrolling ist mehr als Zahlen-Schubsen

Zahlen und Daten sind die Grundlage für viele Entscheidungen, bieten aber auch Raum für Manipulationen und manchmal reichen mathematische Berechnungen alleine nicht aus, um eine Entscheidung zu treffen.

Controlling
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Controlling, verstanden als das „Führen mit Zahlen“ bewegt sich stets zwischen zwei Extremen, kompletter Zahlengläubigkeit einerseits und tiefer absoluter Abneigung gegenüber Zahlenkolonnen  andererseits. Wo sich Individuen in dem Kontinuum zwischen diesen beiden Extremen selbst positionieren, hängt von mindestens drei Einflussfaktoren ab: Ausbildung, Lebensalter und Berufserfahrung. Für den Einkäufer ist es lohnenswert, sich selbst zu reflektieren und zu verstehen, welche Einstellungen gegenüber quantitativen Analysen Mitarbeiter aus dem eigenen Haus sowie Kontaktpartner bei den Lieferanten haben. Es gibt fünf Zitate, die dabei helfen können.

Mit Zahlen kann man sehr viel machen, aber eben nicht alles

Eines der wohl meist verwendeten Zitate aus der Welt der Management-Lehre besagt, dass man nur das verändern kann, was man auch messen kann („You can’t manage anything, you can’t measure“). Die genaue Herkunft ist nicht ganz eindeutig, aber vermutlich geht es auf den bekannten amerikanischen Management-Guru der 60er- und 70er-Jahre, Peter Drucker, zurück. Inhaltlich sehr ähnlich ist das Statement von William Edwards Deming, einem bekannten Pionier des Qualitätsmanagements: „In god we trust, all other must bring data“.

Beide Zitate sind gelungene Wortspiele, die eine klare Botschaft senden. Rationale Entscheidungen benötigen objektive Zahlen, Daten und Fakten. Subjektive Einschätzungen, intuitives Handeln oder gar Bauchgefühl sollen weitestgehend ferngehalten werden von Management-Entscheidungen. Gerade im Krankenhaus gibt es zudem eine starke Orientierung an der sogenannten „Evidenzbasierten Medizin“, die im Grunde genau mit diesen Zitaten übereinstimmt. Wann immer es geht, sollen Wissenschaftlichkeit und objektive Statistik die Basis für jegliche Entscheidungen sein.

Diese Einstellung ist insbesondere unter jüngeren und mathematisch solide ausgebildeten Individuen relativ populär und sollte auch regelmäßig angewendet werden. Es gibt aber eine auf den ersten Blick klare Gegenposition. Der Legende zufolge soll in dem Arbeitszimmer von Physik-Nobelpreisträger Albert Einstein an der Universität von Princeton der Spruch gehangen haben: „Nicht alles was zählt im Leben, kann auch gezählt werden. Und nicht alles, was gezählt werden kann, zählt auch“. Auch dieses wunderbare Wortspiel sendet eine prägnante Botschaft. Es gibt wichtige Entscheidungsbereiche, bei denen man mit Zahlen und mathematischen Berechnungen allein nicht zurechtkommt. Zudem wird die Arbeit mit Kennzahlen bisweilen zum Glasperlenspiel, nett anzuschauen, aber am Ende möglicherweise wertlos.

Leider wird das Einstein-Zitat gelegentlich missbraucht, um unterentwickelte Fähigkeiten zum Erstellen und Interpretieren von Kennzahlen zu verteidigen oder gar zu rechtfertigen. Tatsächlich enthält es aber eine Art höhere Weisheit, die viel Orientierung bringen kann, wenn man es nicht als schlichten Gegensatz zu den Zitaten von Drucker und Deming versteht, sondern als Ergänzung. Drucker und Deming haben natürlich vollkommen Recht, aber sie stoßen an Grenzen, die von Einstein aufgezeigt werden. In den letzten Jahren haben viele Unternehmen ihre Kennzahlensysteme auch im Einkauf nach Konzepten wie der Balanced Scorecard („ausgewogener Wertungsbogen“) ausgerichtet und weiter ausgebaut.

An vielen Stellen wurden im Sinne von Drucker und Deming Sachverhalte messbar gemacht, die zuvor nicht operationalisierbar waren. Mitarbeiterzufriedenheit wurde über Fluktuationsraten erfasst, Mitarbeitermotivation über die Zahl der Verbesserungsvorschläge, Patientenzufriedenheit über Beschwerdequoten. Das sind alles positive Entwicklungen im Sinne von Drucker und Deming. Am Ende des Tages hat aber natürlich Einstein ebenfalls recht. Mit Zahlen alleine kann man keine menschlichen Gedanken, Einstellungen oder Gefühle ausdrücken. Diese bei Management-Entscheidungen komplett zu vernachlässigen, kann aber in vielen Problembereichen zu einer verengten Sichtweise und damit zu Managementfehlern führen.

Goodhart’s Gesetz sollte niemals unterschätzt werden

Ein weiteres Zitat, das in der Literatur auch als Goodhart’s Law bezeichnet wird, kann ebenfalls helfen, durchaus gängige Fehler beim Arbeiten mit Kennzahlen zu vermeiden. Charles Goodhart, Professor für Volkswirtschaftslehre an der renommierten London School of Economics, adressiert sehr pointiert die wichtige Frage, welche Funktion eine Kennzahl übernehmen soll: Wenn eine Kennzahl zur Zielvorgabe wird, verliert sie möglicherweise schnell an Aussagefähigkeit („when a measure becomes a target, it ceases to be a good measure“). Kennzahlen eignen sich oft sehr gut dazu, komplexe Sachverhalte verständlich zu machen. Die Arbeit mit Kennzahlen bekommt aber einen ganz anderen Charakter, wenn die gleiche Kennzahl als Zielvorgabe, vielleicht sogar als Grundlage für finanzielle Anreize (Incentive) verwendet wird, weil von der Zielvorgabe natürlich eine induktive Wirkung auf das Verhalten der Beteiligten in einem System ausgeht.

Die Kennzahl „Kosten pro Bestellung“ kann beispielsweise eine sehr sinnvolle Information sein, um die Effizienz des Einkaufs zu beurteilen und mit anderen Häusern oder Unternehmen anderer Branchen zu vergleichen. Eine sinnvolle Interpretation ist aber nur möglich, wenn der Nenner nicht manipuliert wird. Wenn der Druck aus der Zielvorgabe zu hoch wird, könnten die Beteiligten auf die Idee kommen, den Quotienten durch mehr Bestellungen bei gleicher Warenmenge und ähnlichem Einkaufsvolumen künstlich zu senken. Literatur und Praxis kennen eine breite Palette von möglichen Funktionen von Kennzahlen: Operationalisierung, Anregung, Zielvorgabe, Steuerung, Kontrolle, u. a. Goodhart’s Gesetz ist ausgesprochen hilfreich, um zu verstehen, dass die Aussagekraft von Kennzahlen ganz entscheidend davon abhängt, welche dieser Funktionen gerade im Mittelpunkt steht.

Zahlen alleine sind noch keine Maßnahme

Als fünftes und letztes Zitat soll noch auf folgenden Satz eingegangen werden: „Wer Tore schießen will, sollte auf den Ball schauen und nicht auf die Anzeigetafel.“ Oder etwas rustikaler: „Das Schwein wird nicht vom Wiegen fett, man muss es auch füttern.“

Dieser Satz ist eigentlich so selbsterklärend wie kaum ein anderer. Dennoch lässt sich in der Praxis nicht selten beobachten, dass er in seiner Bedeutung unterschätzt wird. Daher sehen moderne Performance-Management-Systeme stets vor, Kennzahlen und Zielvorgaben auch mit geeigneten Maßnahmen zu kombinieren. Fehlt es an geeigneten Maßnahmen und/oder deren praktischer Umsetzung, „starrt das Kaninchen auf die Schlange“.

Fazit

Gerade im Einkaufscontrolling lassen sich Fluch und Segen des Arbeitens mit Kennzahlen gut beobachten. Die einen verwalten Zahlenfriedhöfe, die nur vordergründig objektive Entscheidungsgrundlagen bieten. Die anderen stochern im Nebel und fahren auf Sicht, weil es keine Zahlen gibt und/oder sie bewusst darauf
verzichten wollen. Die fünf genannten Zitate können wertvolle Hilfestellung geben, um eine geeignete Balance zu finden.   

Erschienen in Klinik Einkauf 05/21  Jetzt kaufen!

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