
Die Krankenhausbranche und dabei insbesondere die komplette Krankenhauslogistik stellen eine negative Besonderheit im deutschen Logistikmarkt dar. Außer der Krankenhausbranche gibt es keine andere Branche in Deutschland, in der die führenden Unternehmen nicht über eine unternehmensspezifische ganzheitliche Logistikstrategie verfügen. Dies ist umso erstaunlicher, da eine optimale und ganzheitliche Krankenhauslogistik von zentraler Bedeutung für die Sicherstellung einer effektiven, effizienten und reibungslosen Versorgung der Patienten und damit für die Erreichung der Gesamtwirtschaftlichkeit der Krankenhäuser ist.
Die Krankenhausbranche und dabei insbesondere die komplette Krankenhauslogistik stellen eine negative Besonderheit im deutschen Logistikmarkt dar.
Um die Entscheider für dieses Problem zu sensibilisieren, soll dieser Fachartikel darlegen, wie Krankenhäuser eine spezifische Krankenhauslogistik-Strategie 4.0 für alle Warengruppen entwickeln können, welche Bausteine diese Strategie inhaltlich umfassen muss und welcher Nutzen sich daraus für die Krankenhäuser ableitet. Im Ergebnis wird dem Leser beispielhaft ein Logistikstrategiehaus als strategisches Zielbild dargelegt und die zentralen strategischen Handlungsfelder der ganzheitlichen Krankenhauslogistik 4.0 aufgezeigt.
Status quo der Strategie-Überlegungen in deutschen Kliniken
Ein Blick in deutsche Krankenhäuser zeigt: Heutzutage hat so gut wie jedes Krankenhaus eine dezidierte Medizin-Strategie ausgearbeitet, bei welcher der Fokus auf der Sicherstellung der medizinischen Qualität der Patientenbehandlung liegt. Auch die Ausarbeitung von IT-Strategien mit strategischen Überlegungen zu sinnvoll nutzbaren IT-Tools zur Unterstützung der Krankenhausprozesse findet heute bereits in einer Vielzahl von Kliniken statt. Ein Beispiel hierfür ist die Evaluation von digitalen Systemen zur Automatisierung von Entlassprozessen oder zur digitalen Unterstützung in der Pflegedokumentation. Sourcing-Strategien, wie sie in der Logistikbranche üblich sind, sind heute ebenfalls bereits in vielen Kliniken in Deutschland im Einsatz. Jedoch ist heutzutage in noch keinem Krankenhaus in Deutschland eine dezidierte, zukunftsweisende ganzheitliche Krankenhauslogistik-Strategie 4.0 zu finden.
Entwicklung einer spezifischen Krankenhauslogistik-Strategie 4.0
Warum ist es zwingend, eine Krankenhauslogistik-Strategie zu haben? In einer Unternehmensstrategie werden die langfristigen Ziele des Unternehmens definiert. Dementsprechend müssen in einer Logistikstrategie, abgeleitet aus der Unternehmensstrategie, die langfristigen Ziele der Logistik erarbeitet werden. Damit wird der strategische Rahmen für die Logistik gesetzt, ihre Rolle im Unternehmen definiert und die Wertigkeit der Logistik festgelegt.
Wer kein Ziel hat, dem ist jeder Weg recht!
Durch die Erarbeitung von SMART-Zielen (SMART: Spezifisch, Messbar, Attraktiv, Realistisch und Terminiert) wird die Logistikstrategie operationalisiert, die Zielerreichung messbar gemacht und zu erreichende Meilensteine fixiert. Erst dann kann von einem strategischen Zielbild und Zielsystem für die Logistik gesprochen werden. Da die Krankenhäuser in Deutschland keine Logistikstrategie haben, die diesem Anspruch gerecht wird, muss leider konstatiert werden: Wer kein Ziel hat, dem ist jeder Weg recht! Für die Krankenhauslogistik in Deutschland bedeutet dies, dass sie in den strategischen Überlegungen der Krankenhäuser nur eine untergeordnete Rolle spielt, dementsprechend in den Krankenhausorganisationen falsch positioniert ist und deshalb ihr Nutzenpotenzial für den wirtschaftlichen Erfolg von Krankenhäusern nicht einmal im Ansatz ausschöpfen kann. Die Logistik bzw. das Supply-Chain-Management ist in allen anderen Branchen mit hohem Logistikanteil auf Vorstandsebene positioniert, nur nicht im Krankenhaus.
Ganzheitliche Krankenhauslogistik

Da aber im Krankenhaus, außer der medizinischen und pflegerischen Behandlung, alle anderen Prozesse vom Menschen bis zum Müll logistische Prozesse sind, muss die Krankenhauslogistik auch auf Vorstandsebene als zentraler Teil der Operations (COO-Funktion) positioniert sein. Dann kann die Krankenhauslogistik ihr volles (Optimierungs-)Potenzial ausschöpfen und von der heutigen Betrachtung als Kostenblock zum zentralen Werttreiber für Krankenhäuser im gesamten Prozess- und Kapazitätsmanagement werden. Darüber hinaus ist es zwingend, die Krankenhauslogistik ganzheitlich zu betrachten und auszugestalten. Dabei weist die Aussage vom Menschen bis zum Müll den richtigen Weg. Eine ganzheitliche Krankenhauslogistik muss alle Warengruppen vom Patienten bis zum Abfall umfassen (siehe Abb. 1) und alle in die Logistik involvierten physischen und informatorischen Ressourcen und Infrastrukturen bei der Planung, Steuerung und Disposition berücksichtigen, um optimale Prozesse mit maximaler Kapazitätsauslastung und einem bestmöglichen Kosten-Nutzen-Verhältnis zu realisieren. Genau dafür gilt es eine Krankenhauslogistik-Strategie 4.0 zu entwickeln.
Gerne hätte Ihnen der Autor eine ganzheitliche Krankenhauslogistik-Strategie 4.0 an einem realen Beispiel aus der Krankenhaus-Branche dargelegt. Jedoch ist dies leider nicht möglich, weil es solche Best Practices nicht gibt. Aus dem genannten Grund wird an dieser Stelle auf ein Best-Practice-Beispiel für eine ganzheitliche Krankenhauslogistik-Strategie 4.0 aus der Aviation-Branche referenziert, welches Dr. Emmermann für einen der Top-Dienstleister im MRO-Markt für Flugzeuge (MRO: Maintenance, Repair and Overhaul) entwickelt hat. Die Logistikstrategie 4.0 wird exemplarisch anhand des individuell erarbeiteten Logistikstrategie-Hauses dargestellt (siehe Abb. 2).
Strategisches Zielbild als Leitplanke

Das Logistikstrategie-Haus besteht aus zwei zentralen Elementen. Zum einen aus dem strategischen Zielbild der Logistik und zum anderen aus den strategischen Handlungsfeldern der Logistik. In dem strategischen Zielbild der Logistik werden die Visionen der Logistikstrategie 4.0 des Unternehmens und die unternehmensspezifischen Zieldimensionen der Logistikstrategie 4.0 entwickelt und operationalisiert. Die strategischen Handlungsfelder der Logistik müssen zuerst für das Unternehmen erarbeitet werden. Dafür wird das strategische Zielbild als strategischer Rahmen und als Leitplanke genutzt. Dann werden die unternehmensspezifisch festgelegten Handlungsfelder der Logistikstrategie 4.0 detailliert ausgestaltet. Dafür wird für jedes Handlungsfeld der strategische Zielzustand so genau wie möglich erarbeitet, beschrieben, operationalisiert und mit strategischen Kennzahlen (KPIs) messbar und steuerbar gemacht.
Da bekanntermaßen jeder noch so weite und herausfordernde Weg mit dem ersten Schritt beginnt und der, der die Herausforderung annimmt, schon zur Hälfte gewonnen hat, soll Ihnen an dieser Stelle Mut gemacht werden, die Herausforderung anzunehmen.
Erst wenn für alle Komponenten und Handlungsfelder des Logistikstrategie-Hauses SMART-Ziele und entsprechende Maßnahmen zur Zielerreichung ausgearbeitet, schriftlich in einer ganzheitlichen Logistikstrategie 4.0 ausformuliert, im gesamten Unternehmen kommuniziert und am wichtigsten von allen Mitarbeitern akzeptiert sind, kann von einer echten Logistikstrategie 4.0 gesprochen werden, die auch von der Vision zur Realität wird (siehe Abb. 2). Hier haben Krankenhäuser noch einen weiten Weg vor sich. Da bekanntermaßen jeder noch so weite und herausfordernde Weg mit dem ersten Schritt beginnt und der, der die Herausforderung annimmt, schon zur Hälfte gewonnen hat, soll Ihnen an dieser Stelle Mut gemacht werden, die Herausforderung anzunehmen und die methodische Vorgehensweise für die ersten extrem wichtigen Schritte auf dem Weg zu einer Krankenhauslogistik(-Strategie) 4.0 aufgezeigt werden. Bleiben Sie gespannt!
Über die Autoren
Dr. Marco Emmermann ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Visality Consulting GmbH und der Iconcare GmbH. Im Laufe seiner 35-jährigen Beratungstätigkeit verantwortete und leitete er weit über 700 Projekte bei über 300 Konzernen und Großunternehmen sowie international aufgestellten Mittelständlern aus der Industrie und der Dienstleistungsbranche.
Lisanne Bartz (M.A.), Gesundheitsökonomin und ausgebildete Rettungssanitäterin, ist Consultant bei der Visality Consulting GmbH und der Iconcare GmbH.




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