
Das Schlagwort Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Nachhaltige Beschaffung ist nach allgemeiner Definition die Beschaffung mit der bestmöglichen Auswirkung auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft über den gesamten Lebenszyklus. Wenn in Brasilien bei einem Dammbruch Menschen unter Schlamm begraben werden, Näherinnen in Bangladesch bei einem Brand einer Textilfabrik ums Leben kommen oder Kinder in Ghana auf Kakaoplantagen arbeiten, endet die Lieferkette nicht selten bei deutschen Unternehmen. Im Zuge der Diskussion um Nachhaltigkeit in der Beschaffung setzt sich zunehmend der Gedanke durch, dass Unternehmen auch dafür Verantwortung übernehmen sollten, dass ihre Lieferanten Menschenrechte und Umweltstandards einhalten.
Viele Unternehmen verpflichten daher ihre Lieferanten im Rahmen von Verhaltenskodizes oder sog. Corporate-Social-Responsibility-Vereinbarungen dazu, Mindeststandards im Arbeitsschutz einzuhalten und Kinderarbeit, Zwangsarbeit oder Diskriminierungen in ihren Unternehmen und bei ihren Zulieferern nicht zu dulden. Die Übernahme sozialer Verantwortung, also das freiwillige Bemühen der Unternehmen, soziale und ökologische Belange in die Unternehmenstätigkeit zu integrieren, erfährt aktuell eine Verrechtlichung: von der freiwilligen Selbstverpflichtung hin zur verbindlichen Gesetzesvorgabe.
Hintergrund und Entwicklung
Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat 2011 die sogenannten Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet. Die Leitprinzipien definieren staatliche Schutzpflichten, eine unternehmerische Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte und geben Abhilfemaßnahmen bei Verletzungen vor. Sie enthalten aber keine Aussage darüber, ob die Verantwortung freiwillig oder verbindlich übernommen werden soll.
Die deutsche Bundesregierung hatte mit dem 2016 beschlossenen Nationalen Aktionsplan (NAP) zur Umsetzung der Leitprinzipien auf ein freiwilliges Engagement der Unternehmen gesetzt. Im Rahmen einer Überprüfung wurde jedoch jüngst bekannt, dass nur wenige Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht in der Lieferkette nachkommen.
Eckpunktepapier für ein „Sorgfaltspflichtengesetz“
Der Entwurf eines kürzlich bekannt gewordenen Eckpunktepapiers für ein „Sorgfaltspflichtengesetz“ zeigt auf, wie die Sorgfaltspflichten von Unternehmen für ihre globalen Lieferketten zukünftig ausgestaltet sein könnten. Das „Sorgfaltspflichtengesetz“ soll für Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern anwendbar sein. Die Beschäftigten konzernangehöriger Gesellschaften werden der Konzernmutter zugerechnet, sodass auch zahlreiche mittelständische Unternehmensgruppen, wie z.B. Klinikverbünde und Einkaufsgenossenschaften erfasst wären. Unter Verweis auf Frankreich fordern Kritiker, die Mindestzahl der Beschäftigten auf mindestens 5 000 zu erhöhen. In Frankreich werden auf dieser Grundlage seit 2017 Unternehmen verpflichtet, mithilfe eines unternehmensspezifischen Überwachungsplans Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette vorzubeugen.
Angemessenes Risikomanagement
Als wesentliches Element zur Wahrung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht sollen die Unternehmen dazu verpflichtet werden, ein angemessenes Risikomanagement einzurichten. Unternehmen sollen potenziell nachteilige Auswirkungen ihres Handelns auf Menschenrechte in ihren Lieferketten ermitteln und bewerten. Werden Risiken erkannt, seien Maßnahmen zu benennen, um negativen Auswirkungen vorzubeugen oder sie zu minimieren und zu beheben. Es soll zudem geprüft werden, ob die ergriffenen Maßnahmen auch wirksam sind. Außerdem sollen die Unternehmen einen Beschwerdemechanismus einrichten und jährlich transparent und öffentlich über ihr Risikomanagement berichten.
Haftung vor deutschen Zivilgerichten
Ein Verstoß gegen das Gesetz soll Grundlage für Schadensersatzklagen Betroffener vor deutschen Zivilgerichten sein können. So könnte ein geschädigter Arbeitnehmer eines Lieferanten in einem Drittland das Unternehmen am Ende der Lieferkette auf Schadensersatz in Anspruch nehmen. Hierbei soll das Gesetz als Eingriffsnorm nach EU-Recht ausgestaltet werden, sodass das deutsche Recht unmittelbar anwendbar und deutsche Gerichte zuständig wären. Unternehmen haften jedoch nur, wenn die Beeinträchtigung bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht „vorhersehbar und vermeidbar“ war und wenn elementare Rechtsgüter wie etwa Leben, Körper oder Gesundheit beeinträchtigt wurden. Eine Verletzung dieser Rechtsgüter könne sich allerdings auch aus der Verursachung von Umweltbeeinträchtigungen ergeben.
Die geplante zivilrechtliche Haftung ist politisch umstritten. Es sei dem einzelnen Einkäufer nicht möglich, die gesamte Zulieferkette zu überblicken. Dem wird entgegenhalten, dass ein Unternehmen nicht hafte, wenn es das „Angemessene“ im Rahmen seiner tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten getan hätte und es gleichwohl zu einem Schaden gekommen sei. Ausschlaggebend für die Angemessenheit soll die Nähe zum Zulieferer sein sowie die Möglichkeit, auf das Verhalten des Zulieferers Einfluss zu nehmen. Der Gesetzgeber nennt dies „Befähigung vor Rückzug“ und will Unternehmen darin bestärken, gemeinsam mit den Zulieferern oder innerhalb der Branche nach Lösungen für einen besseren Schutz von Mensch und Umwelt zu streben.
Öffentliche Sanktionen
Die behördliche Durchsetzung des Sorgfaltspflichtengesetzes soll mittels eines elektronischen Berichtsverfahren erfolgen. Eine zuständige Bundesbehörde soll die Berichte prüfen und Möglichkeiten zur Nachbesserung aufzeigen. Bleibt eine Nachbesserung erfolglos, könne ein angemessenes Bußgeld verhängt werden. Außerdem könne die Behörde Verstöße gegen das Sorgfaltspflichtengesetz auch einzelfallbezogen überprüfen. Verstöße seien zudem mit einem Bußgeld zu ahnden. Wird ein rechtskräftiges Bußgeld verhängt, kann das betroffene Unternehmen für eine angemessene Zeit von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Bußgelder können auch einzelne Personen treffen. Insoweit kommt z. B. die Sanktionierung von Mitgliedern der Geschäftsführung, die laut Eckpunktepapier grundsätzlich für die operationale Umsetzung der Sorgfaltspflichten zuständig sein sollen, aber auch eines etwaig bestellten betrieblichen Menschenrechtsbeauftragten in Betracht.
Anerkannte Branchenstandards
Neu wäre die Möglichkeit für Unternehmen, die zivilrechtliche Haftung mithilfe eines staatlich anerkannten Branchenstandards auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu beschränken. Der Branchenstandard müsse die gesamte Lieferkette erfassen, sämtliche Kernelemente der Sorgfaltspflicht berücksichtigen und im Rahmen eines Multistakeholder-Prozesses, also unter der Zusammenarbeit von öffentlichen, zivilgesellschaftlichen und privaten Akteuren, erarbeitet worden sein. Damit kann es sich auch im Nachhinein noch auszahlen, einen Branchenstandard im Unternehmen zu implementieren und z. B. der Initiative „Grüner Knopf“, dem staatlichen Siegel für nachhaltige Textilien, beizutreten.
Europäischer Kontext
Auch auf europäischer Ebene gibt es Überlegungen, Sorgfaltspflichten von Unternehmen in der Lieferkette gesetzlich zu verankern. Auf der Online-Konferenz „Globale Lieferketten – Globale Verantwortung“ wurden im Oktober 2020 entsprechende Pläne vorgestellt. In der EU würde aktuell nur jedes dritte Unternehmen seine globalen Lieferketten sorgfältig mit Blick auf Menschenrechte und Umweltauswirkungen prüfen. Gesetzesvorschläge für verpflichtende Sozialstandards sollen 2021 vorgelegt werden. In der Schweiz wird im November 2020 über die „Konzern-Verantwortungsinitiative“ abgestimmt, die fordert, entsprechende Sorgfaltspflichten in sämtlichen unternehmerischen Geschäftsabläufen zu berücksichtigen.




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