InterviewSaubere Stammdaten sind die Basis für effiziente Prozesse

Im Gespräch mit Klinik Einkauf berichtet Prospitalia-Geschäftsführer Bünyamin Saatci, wie wichtig Nachhaltigkeit für die Einkaufsgemeinschaft ist und dass die Effekte der MDR die Versorgung von unterrepräsentierten Patientengruppen gefährden.

Bünjamin Saatci
Prospitalia
Bünyamin Saatci, Geschäftsführer und CEO der Prospitalia GmbH.

Aus der Prospitalia Gruppe ist die Vivecti Group geworden. Welchen Einfluss hat die Neuaufstellung des Unternehmensverbunds auf die Prospitalia GmbH sowie Ihre Kunden und Lieferanten?

Die Vision ist es, mit der Vivecti Group der relevante Performance-Partner für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Praxen und alle Akteure im Gesundheitswesen zu sein. Die Prospitalia GmbH agiert weiterhin als Tochterunternehmen der Gruppe. Dabei sind wir in unserem Kerngeschäft wie bisher als Partner an der Seite unserer Vertragskliniken sowie -lieferanten und arbeiten in bewährter Form zusammen. Die Prospitalia GmbH steht seit drei Jahrzehnten für Beständigkeit, Innovationsgeist und Leidenschaft. Auf dieser starken Basis bauen wir auf und entwickeln uns weiter.

Herr Saatci, wie sehen Sie die Krankenhausreform, die bereits Anfang 2024 in Kraft treten soll? Werden damit die Probleme der Kliniken gelöst?

Die zugespitzte Antwort dürfte lauten: Während sich der Druck auf bestimmte Häuser reduziert, werden die Sorgen in anderen Kliniken weiter steigen. Sicher ist, dass die Umverteilung von Leistungen zwischen Krankenhäusern unterschiedlicher Versorgungsstufen den Reorganisationsdruck bei den Häusern auf ein unausweichliches Maß anwachsen lassen wird.

Wir bewegen uns in einem System, in dem sich eine dauerhaft anhaltende Abwärtsbewegung vollzieht. Die bisherigen Anstrengungen der Kliniken, seien diese noch so engagiert, haben es nicht vermocht, eine Trendumkehr herbeizuführen. Im Gegenteil: Wir sehen im Vergleich zu den Vorjahren einen Anstieg von Insolvenzen und es wird deutlich, dass die mahnenden Stimmen der Vergangenheit recht behalten haben. Dies unterstreicht den seit Jahren diskutierten Umstand, dass eine Reform alternativlos ist.

Leider sind auf der Detailebene offenbar noch viele Fragen ungeklärt und Konflikte nicht aufgelöst. Die derzeitigen Eckpunkte sind noch kein Garant dafür, dass ungesteuerte Konsequenzen in Form eines kalten Strukturwandels vermieden werden. Selbst ein formales Inkrafttreten der Reform Anfang 2024 lässt daher nicht darauf hoffen, dass das Gesundheitssystem von heute auf morgen reibungsarm funktioniert. Es wird dauern, bis die Reformen ihre Wirkung entfalten. Politisch wird in diesem Kontext oft der etwas vereinfachende Begriff „Durststrecke“ verwendet. Konkret kann man davon ausgehen, dass Häuser, deren finanzieller Handlungsspielraum bereits jetzt ausgeschöpft ist, das Ende eben dieser „Durststrecke“ ohne eine Überbrückungshilfe nicht erreichen werden.

Zur Person
Bünyamin Saatci besitzt langjährige Einkaufs- und Healthcare-Kompetenz. Er verantwortete von 2009 bis 2021 als Dezernatsleiter „Wirtschaft und Versorgung“ den Einkauf am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH). Für die INVERTO AG war Bünyamin Saatci zuvor mehrere Jahre als Unternehmensberater für Einkauf und Supply-Chain-Management tätig. Seit Februar 2022 ist Herr Saatci Geschäftsführer der Prospitalia GmbH.

Wie ist die Prospitalia GmbH bezüglich des Themas Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen aufgestellt?

Für uns ist es bereits aus der ethischen und sozialen Verantwortung heraus, selbstverständlich das Thema Nachhaltigkeit nach besten Kräften zu fördern und zu unterstützen. In unserer Rolle als Schnittstelle zwischen Industrie und Kliniken ist für uns klar, dass Nachhaltigkeit in der Beschaffung genauso selbstverständlich, wie hervorragende Qualität und Versorgungssicherheit sein muss. Hier haben wir aber noch einen langen Weg vor uns. 

Daher bauen wir gegenwärtig eine Nachhaltigkeitsstrategie auf, um unseren Beitrag zum Schutz der Umwelt zu leisten. Dabei möchten wir nicht nur unseren eigenen CO2-Footprint reduzieren, weshalb wir das Klimaretter-Lebensretter-Tool der Stiftung Viamedica bei uns im Unternehmen implementiert haben, sondern möchten insbesondere nachhaltige Beschaffungspraktiken fördern und unseren Vertragspartnern hierzu wertvolle Informationen und unterstützende Services an die Hand geben.

Unsere Strategie basiert grundsätzlich auf mehreren Säulen. Dazu zählen zum einen die Förderung von Best-Practice-Ansätzen und der Austausch innerhalb unseres Netzwerks. So haben unsere Vertragskliniken z. B. im Rahmen unseres Prospitalia Jahreskongresses die Möglichkeit, ihre Lösungen einer breiteren Masse zur Verfügung zu stellen und voneinander zu lernen.

Wir haben die Notwendigkeit und Chance, das Thema Nachhaltigkeit in unseren Vergabeverfahren als festes und quantifizierbares Bewertungskriterium zu verankern.

Zum anderen sind Fortbildungen ein zentraler Bestandteil unserer Bemühungen. Wir bieten den Mitarbeitenden unserer Kliniken verschiedene Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten an, legen nun aber einen erweiterten Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit. Damit wollen wir die Sensibilität, aber auch das Know-how in den Kliniken stärken.

Die dritte und aus unserer Sicht wichtigste Säule der Strategie ist die Förderung einer nachhaltigen Beschaffung im Zuge von etablierten Beschaffungsprozessen. Diese stützen wir durch verschiedene Ansätze, die insbesondere bei Vergabeverfahren zum Tragen kommen. Denn dadurch, dass wir viele öffentliche Häuser begleiten, haben wir einerseits die Notwendigkeit, andererseits die Chance, das Thema Nachhaltigkeit in unseren Vergabeverfahren als festes und quantifizierbares Bewertungskriterium zu verankern. Da wir über 80 Prozent unseres Einkaufsvolumens im Bereich Verbrauchsmaterial über EU-weite Ausschreibungen abwickeln, haben wir einen entsprechend großen Hebel und fordern den Markt so auf, in das Thema Nachhaltigkeit zu investieren.

Selbst ein formales Inkrafttreten der Reform Anfang 2024 lässt daher nicht darauf hoffen, dass das Gesundheitssystem von heute auf morgen reibungsarm funktioniert.

Darüber hinaus, und das liegt mir persönlich sehr am Herzen, haben wir gemeinsam mit starken Partnern begonnen, Transparenz auf Artikelebene zu schaffen. Unsere Vision ist es, die CO2-Bilanz eines Artikels an den jeweiligen Stammdaten ablesen und so die Nachhaltigkeit bewerten zu können. Wir wissen, das ist eine sehr ambitionierte Pionieraufgabe und es gibt durchaus noch Diskussionen, wie man diese Information quantifizieren kann. Aber wenn wir diese zusätzliche Dimension in unsere Stammdaten integriert haben, ergeben sich damit nicht nur lose Wertversprechen, sondern eine messbare und für alle Marktteilnehmer transparente Grundlage, mit deren Hilfe konkrete Einkaufsentscheidungen getroffen werden können. Auf Basis dieser Transparenz auf Produktebene werden wir unseren Vertragseinrichtungen eine smarte und ganzheitliche Lösung anbieten, die im Rahmen der Verpflichtung zur CSRD-Berichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive) nötig sein wird.

Die MDR und IVDR werden nach wie vor kritisch diskutiert. Welche Änderungen sehen Sie, zwei Jahre nach in Kraft treten der MDR, auf dem Markt der Medizinprodukte?

Mit der MDR ist ein immenser bürokratischer Hemmschuh geschaffen worden, der sich jetzt in den Prozessen der Kliniken, aber natürlich hauptsächlich der Lieferanten bemerkbar macht, und das nicht vorteilhaft. Als Folge sehen wir tatsächlich eine Gefährdung der Versorgungssicherheit. Denn die Umsetzung der MDR hat zu zum Teil erheblichen Mehrkosten für die Zertifizierung von bereits jahrelang eingesetzten Produkten geführt. Die nicht mehr kostendeckende Herstellung von Artikeln führt wiederum zur unternehmerischen Entscheidung, die Sortimente vom Markt zu nehmen. In der Konsequenz beeinträchtigt das die Versorgung der Patientinnen und Patienten. Besonders bitter ist meiner Meinung nach, dass die Sortimentsverringerung häufig Nischenprodukte für eher unterrepräsentierte Patientengruppen betrifft. Dabei handelt es sich um ein Thema, was mich als Vater auch persönlich tangiert, denn damit ist die Versorgung der jüngsten Mitglieder der Gesellschaft, unseren Kindern, gefährdet.

Mit der MDR ist ein immenser bürokratischer Hemmschuh geschaffen worden.

Ein weiteres Problem ist, dass wir bei der MDR über eine Regulatorik im europäischen Markt sprechen. Die Gefahr ist also, dass global agierende Unternehmen ihre Innovationen zunächst in starken außereuropäischen Märkten – hier werden oft die USA oder Japan genannt – einsetzen und diese nur verzögert oder gar nicht auf den europäischen Markt gelangen. Somit geht mit der MDR auch ein Verlust der Innovationskraft für Europa einher.

Arzneimittelengpässe sind ebenfalls ein großes Problem. Wie geht Prospitalia damit um?

Die Situation ist insbesondere im Zusammenhang mit griffigen Problemen, wie zum Beispiel Engpässen bei Kinderhustensaft, stark in den öffentlichen Fokus gerückt. Das Kernproblem ist uns in der Branche jedoch bereits wesentlich länger bekannt. Um dieser Herausforderung zu begegnen, hat unser Pharma-Team in diesem Bereich stets exzellente Arbeit geleistet. Der solide Grundstein ist die von Vertrauen geprägte, partnerschaftliche Zusammenarbeit mit unseren Vertragsapotheken und -lieferanten, die uns schon immer sehr wichtig war.

Wir berücksichtigen das Thema Versorgungssicherheit bereits bei der Vertragsgestaltung und haben gleichzeitig eine Bedarfsteuerung etabliert, die zeigt, dass die gemeldeten Bedarfe realitätsnah sind und es sich nicht um Hamsterkäufe, wie im privaten Sektor, handelt. Darüber hinaus werden die Klinik-Apotheken unmittelbar und proaktiv von unserem Team über fachlich geprüfte und verifizierte Alternativen zu Engpassartikeln informiert. Zudem prüfen wir die Lieferketten permanent und reagieren gemeinsam mit unseren Partnern sehr kurzfristig auf die aktuellen Entwicklungen.

Welche Herausforderungen kommen im nächsten Jahr auf Prospitalia und die Kliniken zu?

Im Kern sind die zukünftigen Herausforderungen auch die größten Herausforderungen der Vergangenheit – in einer anderen Zusammenstellung und Intensität. Klar ist, der Druck nimmt weiter zu. Nicht zuletzt bedingt durch die bekannten Probleme, wie zum Beispiel mangelnde Liefersicherheit und starke inflationsbedingte Belastungen. Hinzu kommen regulatorische und vergaberechtliche Anforderungen und Risiken, die zu einer deutlich erhöhten, administrativen Belastung des Klinikeinkaufs führen.

Zusätzlich wird uns auch der Fachkräftemangel weiterhin begleiten. Dabei denkt man häufig in erster Linie an die bekannten Engpässe im Bereich Pflege und ärztlicher Versorgung, aber es ist für Kliniken – insbesondere im öffentlichen Sektor – generell sehr schwer, den Konkurrenzkampf um gut qualifiziertes Personal gegenüber anderen Branchen zu bestreiten. Wir werden von unseren Kolleginnen und Kollegen in den Einkaufsabteilungen immer häufiger gefragt, ob wir bei klassischen „Inhouse-Tätigkeiten“ unterstützen können, da die Teams oft derart ausgedünnt sind, dass Routinetätigkeiten darunter leiden. An strategische Arbeit neben dem Tagesgeschäft ist in solch einer Situation nicht im Entferntesten zu denken.

Unsere Vision ist es, die CO2-Bilanz eines Artikels an den jeweiligen Stammdaten ablesen und so die Nachhaltigkeit bewerten zu können.

Abschließend darf man trotz der genannten Unsicherheiten aber nie vergessen, und das hat die Pandemie beispielsweise auch gezeigt, dass wir in der Basis ein starkes und resilientes Gesundheitssystem haben, auf das wir stolz sein können.

Gleichzeitig gilt es 2024, die Kosten weiter zu reduzieren. Denn laut Prognosen schafft es nächstes Jahr lediglich eine von fünf Kliniken, ein Defizit zu vermeiden. Dabei sehen wir auf Ebene der Personalkosten nicht den geringsten Handlungsspielraum. Stattdessen sind die Materialkosten im Grunde der letzte verbliebene Hebel, denn sie machen knapp 40 Prozent der Gesamtkosten einer Klinik aus. Insofern ist jede Klinik gut beraten, den Einkauf zur Chefsache zu machen und dafür zu sorgen, dass er kein Nischendasein mehr fristet. Wir unterstützen dies unter anderem mit Schulungen im Bereich Personalentwicklung, dem Austausch von Best-Practice, vor allem jedoch mit unseren digitalen Lösungen.

Stattdessen sind die Materialkosten im Grunde der letzte verbliebene Hebel.

Bei all diesen Herausforderungen möchten wir weiterhin für eine skalierbare Entlastung des Klinikeinkaufs sorgen. Wir sehen vor allem das Potenzial, Prozesse neu zu denken, zu vereinfachen und zu digitalisieren. Als Grundlage dafür müssen wir sicherstellen, dass wir mit guten Materialstammdaten arbeiten. Im Rahmen einer Brancheninitiative haben wir zusammen mit anderen Einkaufsgemeinschaften das Healthcare-Data-Content-Portal (HCDP) eingerichtet. Wir verfolgen damit das Ziel, einen unabhängigen Branchenstammdatenpool als Non-Profit-Initiative aufzubauen, um quantitativ und qualitativ hochwertige Daten für die Healthcare-Branche und deren Prozesse bereitzustellen. Diesen Weg werden wir intensiv weiterverfolgen, denn es ist unser Kernanspruch, den Klinikeinkauf bei aktuellen, aber auch bei neu hinzugekommenen Herausforderungen zu unterstützen.

Abschließend darf man trotz der genannten Unsicherheiten aber nie vergessen, und das hat die Pandemie beispielsweise auch gezeigt, dass wir in der Basis ein starkes und resilientes Gesundheitssystem haben, auf das wir stolz sein können. Wir müssen aber um jeden Preis verhindern, dass unser System weiter geschwächt wird. Dies ist eine immense Herausforderung, der wir uns als Gesellschaft weiterhin zu stellen haben, ohne uns von Partikularinteressen in die falsche Richtung leiten zu lassen.

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