KommentarGute Unterhaltung, gute Besserung?

Was brauchen wir eigentlich – neben der medizinischen Versorgung – zum Gesundwerden in der Klinik? IT-Leiter Pascal Grüttner erläutert für wie wichtig er Entertainment hält und was Krankenhäuser dazu vorhalten sollten, oder auch nicht.

Pascal Grüttner
MSD Photography Köln
Pascal Grüttner ist Leiter IT der Hospitalvereinigung der Cellitinnen GmbH und stellvertretender Vorsitzender Digital Health Germany e. V.

Die Idee zu diesem Text kam mir, als unlängst ein Kollege aus dem Bereich IT-Operations eine flammende Rede wider die Umsetzung des Patientenentertainments in Krankenhäusern hielt. Doch bevor ich den Bogen zum Patientenentertainment spanne, interessiert mich Ihre Antwort auf folgende Frage: Was trägt wie umfangreich zum Gesundwerden bei? Gute medizinische Versorgung – fürsorgliche Pflege – angemessene Bewegung – ausgewogene Ernährung – persönliche Zuwendung – gesunder Schlaf und die aktive Einbindung der Patientinnen und Patienten stelle ich exemplarisch in den Raum. Was fehlt? Ja, nicht zu vergessen: das Streamingangebot!

Exkurs Patientenentertainment

Patientenentertainment ist für Krankenhäuser sowohl finanziell als auch personell betrachtet eine große Aufgabe. Das betrifft neben den Investitions-, Wartungs- und Lizenzkosten die Haustechnik, die für eine geeignete und strukturierte Verkabelung sorgt, die Bedside-Terminals aufbaut und in unserem Verbund auch Service-Owner ist. Die IT ist in dem Kontext schwerpunktmäßig mit Netzwerkarbeiten befasst. Dabei geht es um die Separierung mittels VLAN, das Betriebsnetzwerk, über welches das Entertainment an das Patientenbett gebracht wird und das Management-Netzwerk, durch das der Anbieter die lokal erforderlichen Server zum Beispiel für Streaming betreut.

In einem solchen Kontext kann es vorkommen, dass zufälligerweise an einem Switch zwei Ports für verschiedene Dienste neu freigeschaltet wurden und der Entertainment-Server verbunden wurde, ohne auf den Kollegen der IT zu warten. Dabei wird dann gemäß Murphys Gesetz der falsche Port verwendet und außerdem ist der DHCP-Server auf dem Entertainment-System aktiviert. Für den IT-Laien sei erläutert, dass diese Konstellation zu verschiedenen unerklärlichen Störungen im Netzwerk führt und insofern die IT allen Grund für Unmut hätte. Darum ging es in der eingangs genannten Rede aber nicht, sondern dies wäre eher ein Anlass gewesen, die Einführung eines Network Access Control-Systems zu beschleunigen.

Einer der ersten Kritikpunkte ist dabei die Frage, ob wir die richtigen Prioritäten setzen, wenn wir im Krankenhaus viele Arbeitstage und -wochen verschiedener Expertinnen und Experten aufwenden, um Patientenentertainment umzusetzen und zu betreuen. „Ich gehe ins Krankenhaus und nicht ins Hotel.“, hieß es da in der Rede oder: „An den Betten sind Terminals angebracht, obwohl heute nahezu jeder ein smartes Endgerät besitzt.“

Ich gehe ins Krankenhaus und nicht ins Hotel.

Diese These ist sogar belegt: Nach Zahlen von  Bitkom und der Verbrauchs- und Medienanalyse (VuMA) nutzten 2021 fast 90 Prozent der Deutschen ein Smartphone. Ebenfalls verwendeten laut Statista rund 58 Prozent der Deutschen ein Tablet. Nun sind Nutzer nicht immer auch Besitzer, aber es dürfte unzweifelhaft sein, dass smarte Endgeräte im privaten Alltag angekommen sind.

„Bring your own device“ zu Nutze machen

Patientenportale sind ein Ansatz, bei dem Bring your own device (BYOD) mit zum Konzept gehört. Ist es nicht wirtschaftlicher für Krankenhäuser, für das verbleibende Delta Leihgeräte zur Verfügung zu stellen? Selbstverständlich müssten die Patientinnen und Patienten motiviert werden, eigene Geräte mit ins Krankenhaus zu bringen.

Realkrimis wie professionell raubende Banden in Krankenhäusern rufen an der Stelle berechtigterweise Bedenken hervor. Dem ist entgegenzuhalten, dass auch wenn noch nicht einmal jedes Hotelzimmer über einen Tresor verfügt, dies für Krankenhäuser gerade wegen der Häufigkeit von Diebstählen zum Standard gehören sollte. Dort könnten Patientinnen und Patienten nicht nur das eigene Equipment für das Entertainment sicher unterbringen, sondern (durchaus beruhigend) auch sonstige Wertsachen.

An den Betten sind Terminals angebracht, obwohl heute nahezu jeder ein smartes Endgerät besitzt.

Die Argumentation, dass Patienten, die krankheitsbedingt im Bett bleiben müssen und daher beispielsweise keinen Tresor nutzen könnten, gilt nur solange diese noch in den Wandschränken untergebracht sind. Auch, dass Leihgeräte einen zusätzlichen logistischen Aufwand im Krankenhaus erzeugen würden, ist ein valider Einwurf. Dem wäre zu entgegnen, dass sämtliche vergleichbaren Leih- oder Ausgabekonzepte – im gesamten Krankenhaus – automatisiert werden könnten, denn das Personal sollte sich um wesentlichere Aspekte der Patientenversorgung kümmern.

Wie hoch priorisieren wir Entertainment?

Umfangreiche Hardware und die zugehörige Verkabelung nebst einer nicht unerheblichen Anzahl an Switchen für das Patientenentertainment sind in Zeiten von „Green Hospital“ schon heute ein Anachronismus. Auf der einen Seite ermitteln wir, wie viel (oder wenig) Strom IT-Arbeitsplätze im Ruhemodus verbrauchen, um zu berechnen, ob diese nachts besser ausgeschaltet werden – bei gleichzeitig großzügigem Einsatz technischer Geräte, die nicht unmittelbar der Heilung dienen. Die Anbieter von Patientenentertainment könnten sich auf kluge Apps und guten Content fokussieren, was auch eine Entwicklung ist, spätestens seit das KHZG Patientenportale geadelt hat. Das Entertainment wird dann zum Beiwerk.

Näher zum Kern führt eine Frage, die auch Teil der oben erwähnten Rede war: Wie wichtig ist es, die Mindestgröße von Fernsehern in Krankenhauszimmern vorzugeben? Ich persönlich ziehe beispielsweise ein gesundes und schmackhaftes Essen jeder Bildschirmdiagonalen vor. Auch und gerade im Krankheitsfall. Aber das Thema Wahlleistungen führt zu der o. g. Hoteldiskussion und lenkt die Aufmerksamkeit in Teilen auf die falschen Ziele. Neben der Tatsache, dass auch auf der Wahlleistungsstation nur mit Wasser gekocht wird und das eben herangezogene Essen dort, obwohl es sich vom Standard abhebt, Luft nach oben hat.

Ich kenne keine Statistiken, wie vielen Patienten das Entertainment besonders wichtig ist. Vielleicht will ich diese auch nicht kennen. Mein Appell richtet sich schlussendlich nicht gegen Patientenentertainment an sich. Es geht um die Ausprägung desselben (Warum nicht mehr BYOD?) sowie die Priorisierung im Vergleich zu in meinen Augen wesentlich wichtigeren Aspekten der Patientenversorgung (Wollen Sie einen größeren Fernseher oder eine bessere medizinische Versorgung?).

Ohne Bürokratieabbau geht es nicht

Am Ende meines Textes angekommen bedauere ich, dass ich die wunderbar flammenden Worte des eingangs zitierten Kollegen nicht in ihrer ganzen Farbigkeit wiedergeben konnte. Insofern schließe ich mit einem warmen Bild: Stellen Sie sich vor, Sie liegen in einem Krankenhausbett. Es geht Ihnen nicht gut. Sie dürfen sich zwischen zwei Angeboten entscheiden. Einem ausgeklügelten High-Tech-Unterhaltungssystem oder einem Menschen, der an Ihrem Bett sitzt und sich mit Ihnen unterhält, vielleicht sogar mitfühlend die Hand auf die Ihre legt.

Obwohl ich gute Filme schätze und auch Pflegeroboter grundsätzlich für eine positive Entwicklung halte, wähle ich die zweite Option und würde mich insofern freuen, wenn Veränderungen im Gesundheitswesen dazu beitragen, dem Personal wieder Zeit zu geben, genau so etwas mit Empathie und der notwendigen Ruhe zu tun. Der Gesundheit wäre das doppelt zuträglich: Patientinnen und Patienten, denen es besser geht und Personal, das selbst weniger krank wird. Dazu aber muss die Politik unter anderem ernsthaft den Bürokratieabbau betreiben. Und so frage ich mich ganz am Schluss: War das der eigentliche Appell dieser Zeilen?

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