
Auch bei den deutschen Medizintechnikherstellern gehören die weltweit anhaltenden Lieferkettenprobleme längt zum Alltag. In einer aktuellen Untersuchung der H&Z Unternehmensberatung in Kooperation mit dem Deutschen Industrieverband Spectaris berichten mehr als drei Viertel der Befragungsteilnehmer von stark gestörten Lieferketten. Hiermit verbunden sind Versorgungsprobleme sowie deutliche Kostensteigerungen, insbesondere bei Elektronikkomponenten. Viele Ingenieure werden benötigt, um alternative Komponenten und Lieferanten zu finden und Produktdesigns zu verändern, da die bisherigen Bauteile nicht verfügbar sind. Der Bedarf an schneller Nachentwicklung steigt massiv an.
Alte Maßnahmen und neue Wege
Hersteller setzen sowohl auf altbewährte Maßnahmen als auch auf neue Ideen und Wege, um diesen Herausforderungen zu begegnen und Verzögerungen bei der Einführung von Neuprodukten zu vermeiden. Hans-Martin Lauer, Prinzipal bei der H&Z Unternehmensberatung erläutert dazu: „Zwei Bälle gleichzeitig in der Luft halten zu müssen, Produkte neu entwickeln und gleichzeitig Bestandsprodukte optimieren und pflegen, kann Entwicklungsabteilungen und damit Innovationen ausbremsen. Die Konzentration auf Kernprodukte, die Einführung agiler Entwicklungsmethoden, Outsourcing oder die Etablierung dedizierter Teams zur Umsetzung von Produktpflege sowie Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen, genannt Corrective and Preventive Action (CAPA), können helfen, diesen Bremsklotz zu lösen und die Entwicklungsgeschwindigkeit zu steigern“. Auch müsse die derzeitige Art der Organisation und Steuerung von Lieferketten überdacht werden.
Der Report zeigt, dass Konzepte wie Demand Planning und Sales and Operations Planning (S&OP) weitere Lösungsansätze sein können. Diese Prozesse erfordern häufig eine deutliche Steigerung der Planungsqualität und Anpassung der Steuergrößen und können nur durch eine systematischere Synchronisation von Vertrieb, Einkauf und Produktion erreicht werden. Auch die Stellhebel in der organisatorischen Resilienz, dem sogenannten Resilience Framework, sollten genutzt werden. Dazu zählen beispielsweise das Lieferanten- und Vertrags-Risikomanagement sowie das Produktlebenszyklus-Management (PLM), wo gerade bei langwierigen Produktentwicklungen stärker auf Bauteilrisiken geschaut werden sollte. Mit der wachsenden Bedeutung von Daten wird auch die Entkopplung von Hard- und Software immer wichtiger: Beides muss technisch zusammenpassen, aber nicht zwangsläufig gemeinsam entwickelt werden.
Innovationsbremse MDR
Die neue europäische Medizinprodukteverordnung MDR (Medical Device Regulation) stellt neben den Lieferkettenschwierigkeiten eine weitere Innovationsbremse dar. Dr. Martin Leonhard, Vorsitzender der Medizintechnik bei Spectaris, erläutert: „Nicht nur diese Untersuchung, auch unsere gemeinsame Umfrage mit dem DIHK und dem Branchencluster Medical Mountains im vergangenen Winter kam schon zu dem Ergebnis, dass die MDR extrem innovationshemmend ist, nicht zuletzt, weil sich der (Re-)Zertifizierungsprozess auf jetzt durchschnittlich eineinhalb Jahre verlängert hat. Die Zulassung von Medizinprodukten dauert viel zu lange, die Konformitätsbewertungsverfahren sind massiv teurer geworden“. Er begrüße, dass die Politik den durch die MDR geschaffenen, nicht zweckmäßigen Bürokratismus zunehmend erkenne und über einen verlässlichen Rechtsrahmen nachdenke, der fördert und nicht blockiert. Aber die Zeit des Zögerns sei vorbei, jetzt müsse schnell etwas passieren, fordert Leonhard.




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