Schweizer Materialzyklus-ProjektMedizintechnik-Recycling gelingt, wenn alle an einem Strang ziehen

Das Recycling gebrauchter medizinischer Instrumente im Klinikalltag kann gelingen. Das zeigt die Kooperation der Schweizer Klinikgruppe Hirslanden und Johnson & Johnson MedTech. Manùela Arnold und Claudia Hollenstein-Humer berichten im Interview, worauf es ankommt.

Claudia Hollenstein-Humer
Hirslanden
Claudia Hollenstein-Humer ist seit 2021 Head of Sustainability & Health Affairs bei Hirslanden und verantwortlich für die MCI Nachhaltigkeitsstrategie.
Manùela Arnold
J&J
Manùela Arnold entwickelt als Healthcare Sustainability Lead MedTech bei Johnson & Johnson das Thema Nachhaltigkeit weiter.

Laut der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit hat das Gesundheitswesen international einen großen Anteil an den CO2-Emissionen. Wäre es ein Land, so stünde es an Position fünf der größten Emittenten von Klimagasen. Was war für Sie konkret ausschlaggebend, mit dem Recycling medizinischer Produkte zu beginnen?

Hollenstein-Humer: Von dem Abfall, der in Krankenhäusern anfällt, entstehen etwa 30 Prozent in Operationssälen. Das ist ein ansehnlicher Prozentsatz. Deshalb war es klar für uns, dass wir hier etwas unternehmen müssen, um einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen zu leisten.

Arnold: Viele bei Operationen verwendete Produkte sind darauf ausgelegt, nur einmalig verwendet zu werden. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Qualität invasiver chirurgischer Instrumente bei jedem Eingriff gleich sein muss. Die kontaminierten Einweg-Produkte werden deshalb in den meisten Fällen nach Gebrauch in spezielle Einwegbehälter für medizinische Abfälle gelegt. Sobald der Behälter voll ist, wird dieser dauerhaft verschlossen, abgeholt und als Sonderabfall zur Müllverbrennung gebracht und direkt im Ofen entsorgt.

Die Frage, die wir uns gestellt haben, war: Muss das so sein? Gleichzeitig steigt auch beim ärztlichen Personal das Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Immer häufiger kamen von ihnen Rückmeldungen mit dem Wunsch nach besserer Ressourcennutzung und einer geringeren Abfallrate. Um geschlossene Kreislaufprozesse zu etablieren, müssen MedTech-Unternehmen daher auf innovative Lösungen setzen, die den ökologischen Fußabdruck von Medizinprodukten verbessern. Hier führt kein Weg an Recycling vorbei, da der Entsorgungsprozess nicht ausgeklammert werden kann. Er gehört mit dazu, wenn wir uns den gesamten Produktlebenszyklus ansehen, um Emissionen zu verringern.

Claudia Hollenstein-Humer ist seit Oktober 2021 Head of Sustainability der Hirslanden-Gruppe. Sie verantwortet unter anderem die Umsetzung der eigenen schweizweiten wie auch die MCI-Nachhaltigkeitsstrategie. Nachhaltigkeit wird etabliert als Organisation in der Hirslanden-Gruppe, und die Entwicklung sowie die Weiterentwicklung einer Nachhaltigkeitskompetenz ist elementarer Bestandteil ihrer Aufgaben. Hollenstein-Humer verantwortet die Bereiche ESG (Environmental/ social/ Governance).

Hollenstein-Humer kommt ursprünglich aus der Pflege, hat langjährige Erfahrung als Diabetesfachberaterin mit dreimaliger Möglichkeit, Beratungsstellen (öffentliches Spital, Privatspital und Rehaklinik) aufzubauen, und war zwischenzeitlich als Zentrumsleiterin eines Stoffwechselzentrums tätig. Seit 2020 arbeitet sue in der Hirslanden-Gruppe.

Die Hirslanden Gruppe hat gemeinsam mit Johnson & Johnson ein Projekt aufgesetzt, gebrauchte Medizinprodukte in den Ressourcenkreislauf zurückzunehmen. Um welche Produkte geht es hier konkret? Und warum genau diese?

Hollenstein-Humer: Meines Wissens sind aktuell rund 30 Produkte im Portfolio der Geräte von J&J. Diese Menge wird aktuell zurückgenommen, wobei sie nicht in Stein gemeißelt ist.

Arnold: Johnson & Johnson MedTech ist das erste Unternehmen am Markt, das ein Recycling-Materialzyklus-Projekt von kontaminierten Produkten anbietet und umsetzt. Der Fokus liegt hier klar auf einer gesteigerten Kreislaufwirtschaft, indem wertvolle Materialien auf optimalem Weg in den Kreislauf zurückfließen. Im Rahmen des Pilotprojekts wurden alle Ethicon-Einwegprodukte analysiert, um sicherzustellen, dass langfristig nur die Produkte wieder aufbereitet werden, bei denen es aufgrund ihres ökologischen Fußabdrucks auch wirklich Sinn macht. Insbesondere Klammergeräte und elektronische Versiegelungsinstrumente, die zum Trennen oder Wiederverbinden von menschlichem Gewebe, Organen und Strukturen verwendet werden, enthalten beispielsweise hochwertigen medizinischen Stahl, Titan, Aluminium, Kupfer oder gut recycelbare Kunststoffe. Darüber hinaus können elektronische Komponenten vor der drohenden Verbrennung getrennt werden, um die Umweltbelastung weiter zu verringern. Aktuell liegt unsere Recyclingquote bei 75 bis 100 Prozent.

Manùela K. Arnold ist seit 2018 Business Director von Johnson & Johnson Family of Companies in Switzerland. Sie verantwortet alle Business Services der Schweiz, ist für die strategische Positionierung sowie die Reputation, die Ausrichtung und Synergien innerhalb und außerhalb des Unternehmens verantwortlich. Neben diesen Aufgaben ist sie bei Johnson & Johnson Sponsor für die Themen Corporate Social Responsibility, Diversity, Equity & Inclusion, Learning & Development sowie Gesundheit.

Arnold verfügt über langjährige Erfahrung in der Pharmabranche und bekleidete im Laufe ihrer Karriere diverse Führungspositionen im Sales, Brand Management und Marketing in renommierten Firmen wie Beiersdorf, L’Oréal und Roche Pharma Schweiz.

Zurzeit ist sie für zwölf Monate auf einem Grow Assignment und zuständig, als Healthcare Sustainability Lead MedTech das Thema Nachhaltigkeit konstant weiterzuentwickeln und das als selbstverständlicher Bestandteil ins Business zu integrieren.

Wie organisieren Sie konkret den Prozess vom Einkauf über den Einsatz im OP bis hin zum Recycling/der Wiederaufbereitung und Zurückführung in das Kliniksystem?

Arnold: Bezogen auf das effektive Recycling stellen wir ein nachhaltiges Recycling unserer medizinischen Einwegprodukte durch einen rückverfolgbaren Prozess mit digitaler Kontrolle sicher. Konkret werden bei diesem neuen Ablauf die Einwegprodukte nach der Verwendung in einer separaten Mehrwegbox im Operationssaal oder an einer zentralen Stelle im Spital gesammelt. Sobald die Box gefüllt ist, wird der Inlayer ebenso wie die Box den Anforderungen und der Sicherheit entsprechend verschlossen und zur Abholung bereitgestellt.

Der Logistikpartner, der bereits in seiner normalen Tour vor Ort ist, nimmt die Box mit und liefert sie bei unserem Reinigungspartner ab. In einem nächsten Schritt werden beim Reinigungspartner alle Geräte dekontaminiert beziehungsweise gereinigt. Danach kommen sie in ein großes Gebinde und werden vom Recycler abgeholt. Anschließend werden die gereinigten Produkte händisch zerlegt und nach den entsprechenden recycelbaren Materialien getrennt.

Von da werden die wiederverwertbaren Komponenten in den Materialzyklus zurückgeführt. Dank einer speziell dafür entwickelten Software werden alle Produkte, die dem Recyclingprozess zugeführt werden, erfasst. So können wir unseren Kunden nicht nur Live-Updates über ihre Produkte und das recycelte Material bieten, sondern auch einen vollständigen Produktlebenszyklus und die Möglichkeit, ihre CO2-Bilanz deutlich zu verbessern.

Wie nehmen Sie Ihre Mitarbeiter in diesem Prozess mit? Ab wann wurden sie in das Projekt eingebunden? Hatten sie Möglichkeiten Feedback einzubringen?

Hollenstein-Humer: Wir sprechen vorab mit den verantwortlichen Personen in den Kliniken und informieren sie. Auch gibt es einen Austausch in unserer Nachhaltigkeitsgruppe, in welcher aus jeder Klinik ein bis zwei Personen beiwohnen. Hier fand auch ein Austausch zu diesem Projekt statt.

Danach wird die Zusammenarbeit vor Ort zwischen den verantwortlichen Personen von J&J und unseren Mitarbeiterinnen vor Ort vertieft. Bis der richtige Prozess steht, vergeht ein Moment. Hier sind Feedbacks nicht nur ok, sondern sogar gefordert.

Wie hoch ist die eingesparte Abfallmenge? Wie steht das Kosten-Nutzen-Verhältnis hier zueinander?

Arnold: Insgesamt konnten seit April 2021 – dem offiziellen Start des Projektes in der Schweiz – bis heute über 16 000 medizinische Einweginstrumente gesammelt werden. Das entspricht mehr als 1700 Kilogramm Material. Davon konnten über 500 kg Metall und über 1 200 kg Kunststoff wiederverwertet werden. Das eingesparte CO2e liegt bei über 5300 Kilogramm.

Planen Sie, das Projekt auszuweiten? Und wenn ja: Wie sieht Ihre Strategie aus?

Hollenstein-Humer: Nach den zwei Kliniken Beau Site und Stephanshorn soll das Angebot des Recyclings von Einwegprodukten auf mehrere Spitäler der Schweiz ausgerollt und auf weitere Produkte aus dem Hause Johnson & Johnson ausgebaut werden.

Arnold: Unsere Initiative hilft den Schweizer Spitälern, die Abfallmenge zu reduzieren, die sie produzieren. Sie deckt aber auch die steigenden Kundenbedürfnisse, trägt zu mehr Effizienz im Gesundheitswesen bei und steigert die Reputation unserer Kunden.

Das Angebot des Recyclings von Einwegprodukten soll in weiteren Schweizer Spitälern ausgerollt werden und, wo sinnvoll, auf weitere Produkte aus dem Hause Johnson & Johnson angewendet werden. Jedes durchschnittliche Spital kann hier einiges bewirken: Bei rund 10 000 Produkten können pro Jahr durchschnittlich 2609 Kilogramm CO2-Äquivalente eingespart werden. Dies entspricht 18 769 Kilometern und damit einer Fahrt um die halbe Welt in einem Mittelklassewagen.

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